jauchzen ächzen andersmachen

für ulrike bergermann

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jauchzen ächzen andersmachen

„Protestperlen“ ist ein Geschenk für Ulrike Bergermann zum 60. Geburtstag.
Mit „Protest“ und „Perlen“ scheinen uns die vielfältigen Relationen treffend charakterisiert, die Ulrike mit Menschen aus unterschiedlichsten Feldern verbindet.
Gemeinsam jauchzen wir, ächzen wir und gemeinsam wollen wir Dinge andersmachen!
Um Ulrike und ihre Großartigkeit zu feiern, haben wir Freund*innen und Kolleg*innen eingeladen Perlen für diese Website beizutragen – Euch allen sei herzlich gedankt!

Initiative, Idee, Konzept und Koordination:
Andrea Seier, Christine Krischan Hanke, Henriette Gunkel, Nanna Heidenreich, Sybille Bauriedl.

Graphisches Konzept, Layout und Umsetzung:
Fritz Laszlo Weber.

28.02.2024

Mit Beiträgen von

Hinweis zur Nutzung

Protestperlen, die auf diesem Computer noch nicht besucht wurden, haben einen leuchtenden Schatten. Nach dem Besuch verschwindet der Schatten. So sind unbesuchte Protestperlen leicht visuell erkennen.
Der Speicher für besuchte Protestperlen kann über diesen Link zurückgesetzt werden. Danach leuchten wieder alle Perlen.

Thomas Waitz

Das Bild zeigt zwei Tische und vier Stühle vor Pflanzen im Innenhof des Gebäudes der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig in leicht verwackelter Ansicht
Foto: Thomas Waitz

Nicht-Dazugehören-Wollen

Der akademische Betrieb zeichnet sich durch zahlreiche Übergänge und Schwellen aus, deren Überschreitung dazu dient, Differenzen zu markieren und Zugehörigkeiten festzulegen. So existieren formale Qualifikationsstufen, mittels derer zwischen Studierenden, Graduierten, Promovierten und Habilitierten unterschieden wird. Titel, die dabei verliehen werden, markieren formale Bildungsabschlüsse; ihr Erwerb ist Ausweis einer vermeintlich linear verlaufenden Karriere (dem Bedeutungsursprung nach ein für Pferdekarren befestigter Weg). 

Zugleich gilt, dass aus der Qualifikation allein keine Integration ins berufliche Feld resultiert, wovon prekär beschäftigte Lektor_innen und Privatdozent_innen ein Lied singen können. Sie mögen formal qualifiziert und selbst rechtlich oftmals, aber nicht immer, Angehörige der Universität sein, bleiben aber in der Selbstwahrnehmung der Betroffenen außerhalb – ein Außerhalb, das sich primär als Entzug von Sichtbarkeit und Wahrnehmung gestaltet. Wer als Lehrbeauftragter am Freitagmittag zum Blocktermin anreist, bekommt von der Sekretärin, die als einzig Anwesende extra gewartet hat, noch schnell den Schlüssel in die Hand gedrückt und darf sich ansonsten sicher sein, den Rest des Wochenendes mit den Studierenden in den leeren Räumen des Instituts zu verbringen. Die schiere Existenz all der Personen, die gerne dazugehören würden, denen die Institution aber – selten sonderlich subtil – ihre Externalität ein ums andere Mal verdeutlicht, konfrontiert die übrigen Mitglieder des akademischen Betriebs (oft selbst nur befristet beschäftigt) mit den alltäglichen, fast schon banalen Mechanismen der Exklusion, welche diesen Wissenschaftsbetrieb auszeichnet. Auch deshalb wird die Existenz jener, die von einer Zugehörigkeit, sei sie noch so befristet, nur träumen können (sich das Träumen aber nicht erlauben, das wäre unprofessionell), beschwiegen oder, schlimmer, wortreich verdrängt. Es kann schließlich jede_n treffen, jedenfalls unterhalb der entfristeten Professur, und diese grausame Logik lässt die Situation erträglich scheinen. Zumindest für diejenigen, die gerade jeweils dazugehören.

Mir scheint wichtig, diese Beobachtungen vorwegzuschicken, wenn ich im Folgenden davon spreche, dass das Nicht-Dazugehören-Wollen ein Kennzeichen eines akademischen, vielleicht auch nur eines medienwissenschaftlichen Selbstbildes ist (dort jedoch ganz sicher).

Dieses Nicht-Dazugehören-Wollen darf auf keinen Fall verwechselt werden mit einer Bejahung jener ökonomischen Prekarität, die ich eingangs geschildert habe, und die sich im symbolischen Ausschluss verdoppelt. Im Gegenteil: Beides – das sorgsam gepflegte Selbstbild des Nicht-Dazugehörens und der ökonomisch-symbolische Ausschluss – sind zueinander vollständig inkompatibel. Tatsächlich wollen jene, die aufgrund ihrer prekären Beschäftigungsverhältnisse oder ihrer Arbeitslosigkeit, die selten so benannt und oftmals euphemistisch als ‚freie wissenschaftliche Tätigkeit‘ umschrieben wird, ausgeschlossen sind, in der Regel sehr wohl dazugehören, und gerade das ist es, was ihnen, wenn sie es zu sehr verdeutlichen, doppelt übelgenommen wird: „Sei mal nicht so pushy“, wird ihnen gesagt, wenn sie berechtigterweise anmelden, dass sie von irgendetwas leben müssen und ganz gerne einen kleinen Platz am Futtertrog hätten.

Das Nicht-Dazugehören-Wollen, das ich meine, ist demgegenüber eines, das symbolisch reklamiert wird, das sich in kleinen Mikroperformances der Dissidenz ausgedrückt und dessen Selbstverständlichkeit einem Habitus gleichkommt. Und so ließe sich die vermeintlich formale Bildungskarriere im Wissenschaftssystem auch anders erzählen: Als Einübung in eine genau austarierte Weise des Nicht-Dazugehören-Wollens, die umgekehrt proportional zur ökonomischen Integration verläuft. Auch deshalb werden Disputationen, und, noch schlimmer, Habilitationsverfahren, als so demütigend empfunden: Weil die Institution denen, die vom Verfahren in die Rolle derjenigen, die um Einlass bitten, gestoßen werden, für einen kurzen Moment der Entblößung und Beschämung die Möglichkeit der rettenden Distanz nimmt. Denn die Macht institutioneller Logik ist letztlich doch stärker als jeder Dünkel, und sei er noch so formvollendet. Im Gedächtnis geblieben ist mir aber auch jener Aspirant, von dem es hieß, er hab bloß deshalb ein „cum laude“ erhalten, weil er „zu arrogant“ gewesen sei. Die Unterwerfung, die alle irgendwann mal geleistet haben, zu verweigern – da hört der Spaß auf.

Dann doch lieber sich einreden, dass man eigentlich nicht so richtig dazugehört. Wie oft habe ich diesen Satz gehört – bloß immer von jenen, die mit Stellen bestens versorgt waren. Es ist dieser Habitus, der wahre Zugehörigkeit markiert, und zwar paradoxerweise über die vollständige und lückenlose, gänzlich ironiefreie und seine Paradoxien beharrlich leugnende Beherrschung einer Haltung des Nicht-Dazugehören-Wollens. Und deshalb ist die Uni auch ein Betrieb von lauter selbsternannten Außenseitern, von missverstandenen Männern, verlassenen Einzelgänger_innen, Renegaten und Antiakademiker_innen, die trotzdem – oder gerade deshalb – Gefolgschaften nach sich ziehen.1Eine solche Haltung muss man sich freilich leisten können. Mit Mindestsicherung lässt sich ein solches Selbstbild jedenfalls kaum verwirklichen, so dass die gelungene Performanz der Nicht-Zugehörigkeit auch und vor allem eine Klassendifferenz markiert. Und, natürlich, ein Doing-Gender etabliert: Eine Sichtweise, aus der Marginalität, die im Nicht-Dazugehören-Wollen ihre rhetorische Zuspitzung findet, zur notwendigen Vorbedingung von Intellektualität stilisiert wird und vermeintlich maskuline Autonomie reklamiert.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass dieser Habitus vor allem im Feld der Medienwissenschaft so sorgsam gepflegt wird. Denn niemand, darauf hat Thomas Etzmüller hingewiesen,2hat ihn mehr verkörpert als einer der Gründungsväter jener Disziplin, die nie eine Disziplin werden wollte (übrigens eine ähnlich problematische Trope), aber mit dem Begriff des Gründungsvaters oftmals erstaunlich wenig Probleme hatte: Friedrich Kittler, bzw. in Etzmüllers Worten, „die Figur ‚Friedrich Kittler‘“.3In „‚Arme Irre‘, Pseudowissenschaftler und Friedrich Kittler“ befasst sich Etzmüller mit dem Antiakademischen als Funktion und Haltung und liest Kittlers Habilitationsverfahren – soweit es in Akten erschlossen ist – weniger als Streit um fachliche Fragen denn als Auseinandersetzung um die Performance seines, Kittlers, zur Schau gestellten, von Etzmüller als antiakademisch verstandenen Nicht-Dazugehören-Wollens. Schließlich kreise der gesamte Streit um Kittlers Habilitation um die Frage,

„wie mit einem Aspiranten zu verfahren sei, an dessen wissenschaftlicher Qualifikation man gar nicht zweifelte […], von dem einige Ordinarien aber den Eindruck hatten, dass er sich auf provozierende Weise dem Kollektiv der Professoren und dem Gespräch mit ihnen verweigerte.“4

Kittler, so Etzmüller, habe „sich mit Hilfe seines Textes so inszeniert, als wollte er gar nicht unbedingt dazugehören“5– und darin begründe sich zugleich sein Reüssieren.

In „Die Erben“,6einer Untersuchung des studentischen Milieus im Frankreich der 1960er Jahre, schreiben Pierre Bourdieu und Jean-Claude Passeron über ein studentisches Verhalten, das sie als Einübung in die Modelle der intellektuellen Klasse kennzeichnen. „Der Wille, jemand zu sein, und der Wille, sich selbst zu wählen“, so notieren sie, „ist zunächst einmal die Weigerung, das zu sein, was man nicht zu sein gewählt hat“.7 Sandra Beaufaÿs, die auch bei Etzmüller angeführt wird, hat demgegenüber darauf verwiesen,8dass es gerade eine spezifisch-akademische Form der Männlichkeit sei, die als „Lebenspraxis“ Zugehörigkeit im Wissenschaftsbetrieb ermögliche: Die mythische Erzählung, dass man vollkommen in der Wissenschaft aufgehe, 24 Stunden am Tag. Ganz schön anstrengend, dieses Nicht-Dazugehören-Wollen.


  1. Zum Konzept Akademischer Gefolgschaft vgl. Einwächter, Sopie G.: „Bewundern, imitieren, zitieren – Phänomene des Folgens in der Wissenschaft“, in: Ganzert, Anne/Hauser, Philip/Otto, Isabell: Following. Ein Kompendium zu Medien der Gefolgschaft und Prozessen des Folgens. Berlin 2023, S. 219-234.
  2. Etzmüller, Thomas: „‚Arme Irre‘, Pseudowissenschaftler und Friedrich Kittler. Das Antiakademische als Funktion und innere Haltung“. In: Mittelweg 36, Oktober 2017, Heft 4-5, S. 70-87.
  3. Ebd., S. 70.
  4. Ebd., S. 83.
  5. Ebd., S. 84.
  6. Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude: Die Erben. Studenten, Bildung und Kultur. Konstanz 2007.
  7. Ebd., S. 56.
  8. Beaufaÿs, Sandra: Die Freiheit arbeiten zu dürfen. Akademische Laufbahn und legitime Lebenspraxis“. In: Beiträge zur Hochschulforschung, 37, 3/2015, S. 40-59.