jauchzen ächzen andersmachen

für ulrike bergermann

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jauchzen ächzen andersmachen

„Protestperlen“ ist ein Geschenk für Ulrike Bergermann zum 60. Geburtstag.
Mit „Protest“ und „Perlen“ scheinen uns die vielfältigen Relationen treffend charakterisiert, die Ulrike mit Menschen aus unterschiedlichsten Feldern verbindet.
Gemeinsam jauchzen wir, ächzen wir und gemeinsam wollen wir Dinge andersmachen!
Um Ulrike und ihre Großartigkeit zu feiern, haben wir Freund*innen und Kolleg*innen eingeladen Perlen für diese Website beizutragen – Euch allen sei herzlich gedankt!

Initiative, Idee, Konzept und Koordination:
Andrea Seier, Christine Krischan Hanke, Henriette Gunkel, Nanna Heidenreich, Sybille Bauriedl.

Graphisches Konzept, Layout und Umsetzung:
Fritz Laszlo Weber.

28.02.2024

Mit Beiträgen von

Hinweis zur Nutzung

Protestperlen, die auf diesem Computer noch nicht besucht wurden, haben einen leuchtenden Schatten. Nach dem Besuch verschwindet der Schatten. So sind unbesuchte Protestperlen leicht visuell erkennen.
Der Speicher für besuchte Protestperlen kann über diesen Link zurückgesetzt werden. Danach leuchten wieder alle Perlen.

Anne Friedrich

Eine sehr junge Frau, mit sehr kurzen Haaren…

sehen wir auf einem Gemälde der Venezianierin Marietta Robusti, angefertigt in den Jahren 1567/68.1

Dort sitzt ein mittelalter Mann links auf einem Sessel, rechts steht, ihn leicht überragend und bis an die obere Grenze des Bildes reichend, die von uns als weiblich „gelesene“ Person, die mit der Rechten auf etwas außerhalb des Bildes verweist. Beider Gewand ist mit einem einfachen weißen Spitzenkragen ausgestattet, der auf dem ansonsten recht dunklen Bild hervorleuchtet, die Gesichter betont. Sie ist aktiv, er passiv, scheint zuzuhören, oder auf das Gezeigte zu blicken.

So weit, so ungewöhnlich. Daher wundert es uns nicht, dass das Bild jahrhundertelang in der Weise aufgefasst wurde, dass hier, in der Art von Freundschaftsbildnissen, ein Meister mit seinem Schüler abgebildet sei, die Autorschaft wurde mal dem Vater, mal dem Bruder der Künstlerin zugesprochen.

Heute scheint nahezu sicher zu sein, dass es sich um ein Selbstbildnis der damals etwa 16-jährigen Marietta Robusti mit dem Kunstagenten Jacopo Strada (1507-1588) handelt. Dieser bereiste im Auftrag von Kaiser Maximilian II Italien, um Kunstschätze, besonders auch aus der Antike, für seinen Dienstherrn zu sammeln.2 Was hat ihm das junge Mädchen zu sagen?

Das wüssten wir zu gerne. Fest steht, dass das Bild, das sich lange in Prag oder Wien befunden hat und seit 1749 in der Gemäldegalerie in Dresden zuhause ist (und zwar meistens im Depot, erst 2023 wurde es hervorgeholt für eine bescheidene All-Women-Ausstellung3), in kaiserlichem Auftrag gemalt wurde. Denn die Künstlerin, als älteste Tochter in der Werkstatt des Jacopo Robusti, genannt Tintoretto, ausgebildet und für diesen tätig, sollte als Hofmalerin angeworben werden.

Zeitgenössische Quellen4 berichten, dass sie damals in der Kleidung eines jungen Burschen unterwegs war, zum einen wohl als Schutz (etwa, um nicht als Prostituierte zu gelten), zum anderen sicher auch, um auf den Baugerüsten vor Ort beweglicher zu sein. Aber: Vielleicht hat sie sich so ja auch gefallen? Mehr als auf dem allgemein für ein Selbstporträt erachteten Bildnis der Uffizien, das, nach dem Vorbild der berühmten Malerin Sofonisba Anguissola, eine wohlerzogene junge Dame am Spinett zeigt?5

Nun ist es eine Sache, ob sich ein junges Mädchen im Alltag als Junge kleidet, eine andere aber, sich in diesem Habitus in einem offiziellen Doppelporträt festzuhalten. Eine der ersten queeren Darstellungen, gewissermaßen, sieht man einmal von der Legende der Heiligen Wilgefortis ab, der der liebe Gott einen Bart wachsen ließ, um der Ehe zu entgehen: ein Wunder! Gefiel dem Auftraggeber das Pikante und Außergewöhnliche („cosa rara“), wie es sich auch gut in einer Kunst- und Wunderkammer gemacht hätte?

Lustig ist, dass in der Fachliteratur gerne auf Röntgenaufnahmen verwiesen wird, um den gender trouble aufzuklären, das „wahre“ Geschlecht der Dargestellten zu bestimmen. Als ob unter der Malschicht die „echte“ Marietta hervortreten würde - die jungenhafte Gestalt sei lediglich eine spätere Übermalung.6

Weniger lustig, dass Marietta Robusti 1578 (zwangs-)verheiratet wurde, damit sie dem Vater in Venedig weiterhin zur Verfügung stehen konnte, anstelle fernab eine prestigereiche Position als Hofmalerin anzutreten: Nicht nur Maximilian, sondern auch Erzherzog Ferdinand II von Österreich und König Philipp II sollen um sie geworben haben. Doch kam es anders, sie starb früh, vermutlich im Kindbett, um 1590.

Jahrhunderte später wird La Tintoretta, wie sie mit dem Spitznamen des Vaters tituliert wurde, allenfalls als „schöne Leiche“ in die Kunstgeschichte eingehen. Mehrmals hat man den Moment, wie der Künstlervater den aufgebahrten Körper der Tochter sinnierend betrachtet (im Grunde so, wie Anatomen sich vor ihrem Forschungsobjekt gerne haben verewigen lassen), in Szene gesetzt.7 Damit wäre die Künstlerin Marietta Robusti, in einer Zeit, in der Frauen Wahlrecht, Akademiestudium, bürgerliche Rechte vehement einklagten, definitiv zum Verschwinden gebracht. Nur noch als Muse ihres Vaters wollte man sich an sie erinnern.

Das reicht bis heute weiter: Im 2010 auf Deutsch erschienenen Roman von Melania G. Mazzucco mit dem bezeichnenden Titel „Tintorettos Engel“8 wird eine wahre love story zwischen Vater und Tochter fingiert, Inzestuöses eingeschlossen – erzählt aus der Perspektive des alternden Künstlers.

Wir würden uns lieber eine Marietta unabhängig von patriarchalen Zwängen und Zuschreibungen vorstellen!


  1. Abgebildet im Ausstellungskatalog „Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten“. Hg. Katrin Dyballa, Bodo Brinkmann und Ariane Mensger. Bucerius Kunst Forum Hamburg, 14.10.23. bis 28.1.2024, Kunstmuseum Basel, 2.3. bis 30.6.24. Hirmer Verlag, München, 20223, Nr. 18. – Leider in Hamburg nicht ausgestellt. Quelle: https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/409571
  2. Duncan Bull: A double-portrait attributable to Marietta Tintoretto. In: The Burlington Magazine 151, 2009, S. 678-681.
  3. Ausstellungskatalog „Aus dem Schatten. Künstlerinnen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert“. Hg. Stephan Koja und Iris Yvonne Wagner, Dresden 2023, S. 9-23.
  4. Raffaello Borghini, ihm folgend Carlo Ridolfi: „essende picoletta vestiva da fanciullo, e conducevala seco il Padre dovunque andava, - onde era tenuta da tutti per maschio“. Zit. nach Bull S. 680.
  5. Kat. Hamburg/Basel Nr. 15.
  6. Bull, ihm folgend Wagner, und Kat. Hamburg/Basel. – Es tut hier nichts zur Sache, dass in der ersten Fassung auch noch ein jüngeres Kind, vermutlich ihr Bruder, mit in Szene gesetzt worden war – irgendjemand muss die spätere Übermalung, eine Berichtigung der konventionelleren Ansicht, ja veranlasst haben.
  7. Beispielsweise Léon Coignet: Tintoretto malt seine tote Tochter. 1843, Musée des Beaux-Arts, Bordeaux, populär geworden durch einen Holzstich Ende des 19. Jahrhunderts. Erzählungen und Bühnenstücke belegen darüberhinaus die Faszinationsgeschichte.
  8. Im italienischen Original La lunga attesa dell’angelo. Mailand 2008.