jauchzen ächzen andersmachen

für ulrike bergermann

?

jauchzen ächzen andersmachen

„Protestperlen“ ist ein Geschenk für Ulrike Bergermann zum 60. Geburtstag.
Mit „Protest“ und „Perlen“ scheinen uns die vielfältigen Relationen treffend charakterisiert, die Ulrike mit Menschen aus unterschiedlichsten Feldern verbindet.
Gemeinsam jauchzen wir, ächzen wir und gemeinsam wollen wir Dinge andersmachen!
Um Ulrike und ihre Großartigkeit zu feiern, haben wir Freund*innen und Kolleg*innen eingeladen Perlen für diese Website beizutragen – Euch allen sei herzlich gedankt!

Initiative, Idee, Konzept und Koordination:
Andrea Seier, Christine Krischan Hanke, Henriette Gunkel, Nanna Heidenreich, Sybille Bauriedl.

Graphisches Konzept, Layout und Umsetzung:
Fritz Laszlo Weber.

28.02.2024

Mit Beiträgen von

Hinweis zur Nutzung

Protestperlen, die auf diesem Computer noch nicht besucht wurden, haben einen leuchtenden Schatten. Nach dem Besuch verschwindet der Schatten. So sind unbesuchte Protestperlen leicht visuell erkennen.
Der Speicher für besuchte Protestperlen kann über diesen Link zurückgesetzt werden. Danach leuchten wieder alle Perlen.

Jasmin Degeling, Sarah Horn, Mary Shnayien

Autor*innen: 1., 2., und 4. von links. Foto von Eric Krull via Unsplash.

Ulrike Bergermanns Texte lassen sich nicht mal eben so einordnen: Sie umspannen Fragen nach Geschlecht und Körperlichkeit von Maschinen, widmen sich postkolonialer Theoriebildung und ihren Verschränkungen mit medienwissenschaftlichen Fragestellungen, sowie der Frage, wie eigentlich die Medienwissenschaft als Fach operiert und wie sich ihre Geschichte erzählen lässt. Unvergessen hierfür ist Ulrikes Text Kittler und Gender. Zum Asyndeton,1 der anhand einer sezierenden Analyse des Verhältnisses von Geschlecht und Medien in Kittlers Texten und in Aneignung ihrer kanonbildenden rhetorischen Schärfe deren intime Nähe zu Geist und Universalgeschichte nachweist und auf diese Weise die Erkenntnis deutlich macht, dass eine materialistische Perspektive auf Medien und Medialität unbedingt auf eine kritische Theorie ihrer Vergeschlechtlichung angewiesen ist.

Mit großer Genauigkeit, aber selten ohne Augenzwinkern, analysiert Ulrike die Verflechtungen, oder vielleicht eher: die "Verspannungen" von Medien und Begehren, von Technik und Gesellschaft, der Gründungsgeschichten von Medienwissenschaft und Kybernetik. Dabei schaut Ulrike auch stets der Medienwissenschaft und ihren "Schleifen" gewissermaßen disziplinierend auf die Finger, und kommt nicht umhin, eine gewisse goofiness zu bemerken: "Was ist das für ein Versprechen, die eigenen Denkbewegungen, die Mechanismen der Erkenntnisproduktion einholen zu wollen?"2 Ein solches Denken, das sich unablässig selbst darauf befragt, in welcher Weise es zu seinen Ergebnissen gekommen ist, holt in einer Schleifenbewegung notwendigerweise die Bedingungen der eigenen Gedanken und Arbeit an die Oberfläche – im besten Falle ohne dabei bloß selbstreferentiell zu bleiben.

Was diese Schleifenbewegungen so wertvoll macht, ist Ulrikes Gespür für die Zusammenhänge von Popkultur, Filmen, Serien, Romanen – den cultural imaginaries eben – mit informatischen Verfahren und naturwissenschaftlich-technischer Wissensproduktion, das es erlaubt, letzteres in seinen Verstrickungen auf das hin zu befragen, was sonst als vermeintliche Selbstverständlichkeit hingenommen wird, denn:  "In den computertechnischen Schriften kommen Kultur und Gesellschaft in der Regel nicht vor – nur in den Beispielen zu den Regeln schlendern sie wieder hinein; für die Wissenschaft erschienen sie ausgegliedert, in die Kultur, die Fiktionen, in Filme."3 Dieser Satz aus biodrag. Turing-Test, KI-Kino und Testosteron hat uns lange im Nachdenken über digitale Kulturen und ihre Phänomene begleitet. Er wirkt wie ein Hebel, dessen Verwendung es erlaubt, eine Aufmerksamkeit für die vielen Situiertheiten mathematisch-informatischen Denkens zu entwickeln, in die Medien(techniken) eingebettet, und damit immer auch mit Vorstellungen von Geschlecht verbunden sind, ohne jedoch dabei dieses Denken von seinen Attachments zu lösen. So rückt hier auch das Testen selbst als Technologie von Geschlecht in den Blick. Nicht nur bei Turing, auch im Sport.

Ulrike interveniert mit ihren Texten, auch das macht sie so wichtig für uns, in tagesaktuelle Anliegen, wie beispielsweise in die – bis heute anhaltende und sich verschärfende – Auseinandersetzung darum, welche Athlet*innen in welchen Kategorien gegeneinander antreten dürfen sollen. In Hyperandrogenes Testen4 kritisiert Ulrike die sexistischen, rassistischen und trans- wie interfeindlichen Klassifizierungssysteme im Spitzensport und entwirft eine Vision des "Alien TV des 22. Jahrhunderts", die sowohl ihren Witz wie ihre Auseinandersetzung mit queerfeministischen und postkolonialen Theorien, Dis_Ability Studies und Klassenkritik auf den Punkt bringt: Testen wird in dieser zu einem Spiel, wie “Körper mit mechanischen, elektronischen, chemischen, psychischen Technologien neue Bewegungsweisen praktizieren können” – morgens oder abends, im Wasser, draußen, mit Nudelsalat oder ohne und in Akzeptanz der differenten Ausgangsbedingungen aller Teilnehmenden. “Die körperliche Unversehrtheit lässt sich in sinnvolleren Bereichen aufs Spiel setzen.”

Ironie, scharfe Analyse und Respekt für und Sorge um unsere Institutionen spielen hier ineinander – und genau dafür haben wir die Zusammenarbeit mit Ulrike besonders schätzen gelernt: In ihrer akademischen Praxis wird immer wieder deutlich, dass eine Menge auf dem Spiel steht in und mit unserer medienwissenschaftlichen Wissensproduktion – für unterschiedlich Positionierte in verschiedener Intensität. Um gemeinsam darüber nachzudenken, wie auch wir als Wissenschaftler*innen darin verspannt sind – Körper wie auch theoretische Einsätze –, schreibt Ulrike nicht nur selbst, sie eröffnet Räume und lädt uns ein, miteinander nachzudenken – unter anderem mit ihrer Buchreihe Post_koloniale Medienwissenschaft, der Zeitschrift für Medienwissenschaft und dem Gender-Blog, die sie mit ins Leben gerufen hat. Dieser Blog war für uns extrem wichtig und ist es in seiner Fortsetzung als GAAAP_the blog weiterhin, um niedrigschwellig im Zugang und anspruchsvoll in den Herangehensweise über unsere Gegenwart aus Perspektive der Gender Media Studies nachzudenken.


  1. Bergermann, Ulrike. 2012. „Kittler und Gender: Zum Asyndeton“, in: Ott, Michaela; Seitter, Walter (Hg.): Friedrich Kittler: Technik oder Kunst?, Wetzlar: Büchse der Pandora. https://doi.org/10.25595/452.
  2. Bergermann, Ulrike. 2013. Verspannungen. Vermischte Texte, Berlin: Lit Verlag, S. 86.
  3. Bergermann, Ulrike. 2018. „biodrag. Turing-Test, KI-Kino und Testosteron", in: Christoph Engemann und Andreas Sudmann (Hg.): Machine Learning. Medien, Infrastrukturen und Technologien der Künstlichen Intelligenz. Bielefeld: transcript, S. 339.
  4. Bergermann, Ulrike. 2016. „Hyperandrogenes Testen. Hormone brechen olympische Rekorde". ZfM Gender Blog. Online verfügbar unter https://zfmedienwissenschaft.de/online/hyperandrogenes-testen-hormone-brechen-olympische-rekorde, zuletzt geprüft am 12.02.2024.