jauchzen ächzen andersmachen

für ulrike bergermann

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jauchzen ächzen andersmachen

„Protestperlen“ ist ein Geschenk für Ulrike Bergermann zum 60. Geburtstag.
Mit „Protest“ und „Perlen“ scheinen uns die vielfältigen Relationen treffend charakterisiert, die Ulrike mit Menschen aus unterschiedlichsten Feldern verbindet.
Gemeinsam jauchzen wir, ächzen wir und gemeinsam wollen wir Dinge andersmachen!
Um Ulrike und ihre Großartigkeit zu feiern, haben wir Freund*innen und Kolleg*innen eingeladen Perlen für diese Website beizutragen – Euch allen sei herzlich gedankt!

Initiative, Idee, Konzept und Koordination:
Andrea Seier, Christine Krischan Hanke, Henriette Gunkel, Nanna Heidenreich, Sybille Bauriedl.

Graphisches Konzept, Layout und Umsetzung:
Fritz Laszlo Weber.

28.02.2024

Mit Beiträgen von

Hinweis zur Nutzung

Protestperlen, die auf diesem Computer noch nicht besucht wurden, haben einen leuchtenden Schatten. Nach dem Besuch verschwindet der Schatten. So sind unbesuchte Protestperlen leicht visuell erkennen.
Der Speicher für besuchte Protestperlen kann über diesen Link zurückgesetzt werden. Danach leuchten wieder alle Perlen.

Andrea Seier

Schöner Wissen mit U.B.

„Schöner Wissen“ ist nicht automatisch „schön“, sondern manchmal nur Teil gouvernementaler Strategien der Wissensvermittlung, wie Ulrike Bergermann es am Beispiel von Wissenschaftsmuseen (vom Panorama zum Science Center) anschaulich dargelegt hat.1 Museale Ausstellungspraktiken zum Mit-Machen fragen oftmals nicht danach, wer mitgemacht hat, z.B. bei der Konzeption der Ausstellung, für welche medialen Formen Wissen vorab konzipiert wurde und an wessen Wissen, Ideen oder Weltsichten überhaupt teilgenommen werden soll.2 Sie verkomplizieren, öffnen, verspielen oder verschieben nicht etwa das Wissen selbst, sondern inszenieren auf spektakuläre Weise bereits Gewusstes und verweisen somit auf ein ganz und gar unspielerisches Verhältnis zwischen Signifikat und Signifikant (das sie zugleich verdecken).

Perlen

Geradezu spiegelverkehrt verhält sich Ulrike Bergermanns eigene Arbeit:

Nicht die groß aufgemachte ‚story‘, sondern die maximal unprätentiös, manchmal in Nebensätzen fast beiläufig angeführten Thesen, die Neues aufschließen oder plötzlich alles in Frage stellen, was man zu wissen geglaubt hat, sind ihr Gebiet. Speaking Nearby reloaded. Ob in kleineren oder größeren Texten, Büchern, Blogs, Gesprächen oder Emails, Wissen entsteht im Bergermann-Kosmos immer probeweise, im Nebeneinander und Ineinandergreifen von langfristig angelegten Forschungen (Kybernetik, Postkoloniales, Eigentum etc.) und spektakulär beiläufigen Beobachtungen von Gegenwart und Alltag (George Michael, Adele-Cover, Abbildungen aus der Tourismus-Werbung, in denen Männer Frauen Landschaften zeigen).3 Google Earth wird mit Hannah Arendt gelesen, Karaoke Partys mit Kant. Schöner ist dieses Wissen, weil nicht nur Karaoke mit Kant erforscht wird, sondern auch Kant mit Karaoke.4

Ulrike Bergermann hat eine ganz eigene Definition für das „Schöner Wissen“ parat, die mal implizit bleibt, oftmals aber auch explizit (als Forderung) ausformuliert wird: den vorgefundenen Sortierungen des Universellen und Partikularen nicht über den Weg trauen, lieber fragen, wer oder was diese Sortierungen möglich (oder erfolgreich) gemacht hat.5 Oder auch, kurz und knapp als Titel: „Occupy Wissen!“6

Das Wissen der Vielen

„Schöner Wissen“ darf Spaß machen, muss es aber nicht. Es darf unangenehm werden, soll es manchmal sogar, aber nicht in Selbstmitleid versinken. „Schöner Wissen“ heißt auch, sich durchlässig zu halten für Wissen, das sich vielleicht aufdrängt, ohne, dass man aktiv danach geforscht hätte. Und es kann und soll auf dem Bergermann-Campus auch Unlearning miteinschließen. Auch Unlearning ist Learning, das z.B. darin besteht, nicht den grausamen Optimismus anzufüttern, der an den Phantasien des guten Lebens so hartnäckig klebt. Um beides auf Abstand zu halten ist Wissen notwendig, das manchmal schwer zu definieren ist, sich aus unterschiedlichsten Vorräten und Erfahrungen zusammensetzt. „Schöner Wissen“ heißt auch: neue Definitionen für Intelligenz erfinden, für die es noch keine rankings gibt oder nie geben wird.

„Das Wort Forschung muss ein Platzhalter sein“ heißt es mal in dem schon erwähnten Text „Occupy Wissen“.7 Und an anderer Stelle werden die eigenen Texte als eine Art Hitparade präsentiert:

„Die meisten Beiträge dieses Bandes sind zwischen […] verschiedenen Institutionen [entstanden] und so haben sie weniger einen Ort, ein Thema oder einen theoretischen Ansatz als vielmehr ein Interesse daran, in Gefügen von Dingen und Methodischem hin- und her zu schreiben: alte und neue Hits aus Wissenschaftskritik, political correctness, Museen, Schubladen, Digitalität, Geräte- und Frauengeschichten, Popularisierungen, Science, gesammelt und nachgesungen, ähnlich und unähnlich, andere im Ohr.“
Vorwort in: Ulrike Bergermann: medien//wissenschaft. Texte zu Geräten, Geschlecht, Geld. Bremen: thealit 2006, S.11.

Andere haben Bergermann im Ohr. Sie können die Hits hören8 sie werden mit- und nachgesungen, ähnlich und unähnlich. Ein Forschen der Vielen, das für Intelligenz schwärmt jenseits ihrer Vermessungen, Ausbeutungen, Verknappungen.

1000 Dank für die vielen Einfälle, Ausblicke, Texte und Hits, die die Charts immer wieder neu erfinden anstatt sie zu bedienen.

Occupy Wissen! Don’t stop the Music! Und herzlichen Glückwunsch!

Speaking Nearby

Bildnachweise:

Abb. 1 und 2: Andrea Seier

Abb. 3: Sybille Bauriedl


  1. Ulrike Bergermann: Schöner wissen. Selbsttechniken vom Panorama zum Science Center. In: dies: medien//wissenschaft. Texte zu Geräten, Geschlecht, Geld. Bremen: thealit 2006, S. 323-356.
  2. Ulrike Bergermann, ebd., S. 325/326: „Panoramen und Science Center reklamieren eine besondere Unmittelbarkeit in der Rezeption ihrer Inhalte, eine sinnliche und daher überzeugende Vermittlung. Beide zielen auf Einsicht/Erkenntnis durch Anschauung, Erleben, Selbstmachen, aktives Involvieren in Verbindung mit Spaß bzw. sinnlichem Genuss; wobei letzteres die erstgenannte Einsicht besonders wirksam befördern soll. Ihre Verbindung von Unterhaltung mit Informationsvermittlung zielt auf ein breites Publikum, auf viele Schichten und Altersgruppen (da alle Menschen den gleichen Sinnesapparat mitbringen, sei ohne Vorbildung Erkenntnis möglich, den Rest besorgen Erklärer/Erklärungstafeln und Bücher oder Hefte); beide nehmen eine ‚Demokratisierung‘ von Wissen in Anspruch, wobei Frauen und Mädchen im Publikum aus unterschiedlichen Gründen besonders hervorgehoben werden (früher zum Beweis der sinnlichen Überzeugungskraft der Darstellung, heute zur Hinführung aller Ahnungslosen an die fremden Naturwissenschaften). Beide behaupten das Ausstellen von Tatsachen, nicht von Poesie oder Kunst, sondern von Fakten aus der (National)Geschichte bzw. der Natur, die im zweiten Schritt wieder mit ästhetischen Bereichen rückverbunden werden (…).“
  3. Vgl. hierzu den Beitrag von Julia Bee auf dieser Website, in dem zwei exemplarische Abbildungen zu sehen sind.
  4. Vgl. Ulrike Bergermann, Karaoke, Abstand und Berührung. In: Ulrike Bergermann: Schöner wissen. Selbsttechniken vom Panorama zum Science Center. In: dies: medien//wissenschaft. Texte zu Geräten, Geschlecht, Geld. Bremen: thealit 2006, S. 15-32.
  5. Ulrike Bergermann/Nanna Heidenreich (Hg.): total. – Universalismus und Partikularismus in post_kolonialer Medientheorie. Bielefeld: transcript 2015.
  6. Ulrike Bergermann: Occupy Wissen. Institutionalisierungsfragen zum „Forschen aller“. In: Sybille Peters (Hg.): Das Forschen aller. Artistic Research zwischen Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft. Bielefeld: transcript 2013, S. 239-256.
  7. Ebd., S. 246.
  8. Bernadette La Hengst/Knarf Rellöm/Guz (Die Zukunft): Ich kann den Hit hören. Trikont 2010.