jauchzen ächzen andersmachen

für ulrike bergermann

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jauchzen ächzen andersmachen

„Protestperlen“ ist ein Geschenk für Ulrike Bergermann zum 60. Geburtstag.
Mit „Protest“ und „Perlen“ scheinen uns die vielfältigen Relationen treffend charakterisiert, die Ulrike mit Menschen aus unterschiedlichsten Feldern verbindet.
Gemeinsam jauchzen wir, ächzen wir und gemeinsam wollen wir Dinge andersmachen!
Um Ulrike und ihre Großartigkeit zu feiern, haben wir Freund*innen und Kolleg*innen eingeladen Perlen für diese Website beizutragen – Euch allen sei herzlich gedankt!

Initiative, Idee, Konzept und Koordination:
Andrea Seier, Christine Krischan Hanke, Henriette Gunkel, Nanna Heidenreich, Sybille Bauriedl.

Graphisches Konzept, Layout und Umsetzung:
Fritz Laszlo Weber.

28.02.2024

Mit Beiträgen von

Hinweis zur Nutzung

Protestperlen, die auf diesem Computer noch nicht besucht wurden, haben einen leuchtenden Schatten. Nach dem Besuch verschwindet der Schatten. So sind unbesuchte Protestperlen leicht visuell erkennen.
Der Speicher für besuchte Protestperlen kann über diesen Link zurückgesetzt werden. Danach leuchten wieder alle Perlen.

Felix Pussa Axster

Liebe Ulrike,

wir haben uns auf einer Seefahrt kennen gelernt. Genauer gesagt sind wir gemeinsam durch ein Schifffahrtsmuseum in der Hamburger Speicherstadt gegangen. Ok, wir sind uns dort nicht zufällig und auch nicht zum ersten Mal begegnet. Und es wäre auch übertrieben zu behaupten, dass es uns wie Peter Tamm ergangen sei – über ihn, dem wir die Seefahrt gewissermaßen zu verdanken hatten, schrieben wir kurze Zeit später in einem gemeinsamen Text über unseren gemeinsamen Museumsbesuch: „Quasi schicksalhaft sei die Schifffahrt zu oder über Peter Tamm gekommen.“ Nein, es war kein Schicksal. Wir waren Kolleg*innen. Wir wurden für einen Vortrag angefragt, vom Feld für Kunst, einer Aktivist*innen-Gruppe, die sich der kritischen Auseinandersetzung mit dem Internationalen Maritimen Museum Hamburg (oder einfach: Tamm-Museum) verschrieben hatte. Und wir haben uns schnell und einigermaßen spontan entschieden, obwohl wir uns wie gesagt nicht wirklich kannten.

Ein schönes Setting für ein Kennenlernen könnte man meinen. Und dann doch wieder nicht: Wir sind ja wirklich einige Stunden durch diesen riesigen Speicher gelaufen (Du warst glaube ich zwei Mal dort und hast Dir auch noch eine Führung gegeben) und haben uns viel angeschaut. Das merkt man auch unserem Text an, der streckenweise sehr ins Detail geht, genau hinschaut, einzelne Vitrinen und Hörstationen beschreibt. Ein Panorama des Grauens. Unser Fazit lautete: ein Museum der Sieger, ein Heldenmuseum. Wehrmachtshelden, Kolonialkriegshelden, Kommunistenhasserhelden, Eroberungshelden, Wikingerhelden, Sammlerhelden, männliche Helden allesamt. Unfassbar eigentlich, dass so etwas möglich ist, in einer Stadt wie Hamburg am Anfang des 21. Jahrhunderts. Unfassbar auch die Diskrepanz zwischen der elaborierten Debatte über die Potenziale und Fallstricke der Erinnerungskultur in der Berliner Republik und diesem Schiffsmodell-Wahnsinn, diesem Fetisch-Kult, diesem Tamm-Altar (Tamm, Springer-Journalist a.D., aktiver Sozialdarwinist, Welten-Erschließer im kleinen Maßstab, inzwischen verstorben). Die These, dass die deutsche Erinnerungskultur provinziell sei, aufgrund ihrer identitätspolitischen Aus- und Zurichtung im Sinne der Staatsräson, muss angesichts dieses Abgrundes im Kaispeicher B neu überdacht werden. Denn kein Ordnungsruf an die postmigrantische Gesellschaft, kein KZ-Besuch für muslimische Jugendliche, kein Einbürgerungstest mit Israelbekenntnis kann so schlimm sein wie dieses Sammelsurium aus Schwertern, Büsten, Fahnen, Sinnsprüchen und, ja, Schiffsmodellen.

Wie auch immer – ich freue mich, dass wir das damals gemacht haben. Und ich erinnere mich, dass ich sehr aufgeregt war. Wir hatten uns erst kurz zuvor in Köln kennen gelernt. Du warst bereits etablierte Medienwissenschaftlerin, ich Doktorand, der verzweifelt versuchte, die Frage der Medialität, die auch von Dir immer wieder aufgeworfen wurde, zu knacken bzw. überhaupt zu verstehen. Letztlich haben wir uns glaube ich ganz gut ergänzt. Ich mag auch unseren Text immer noch.

Wie es mit der Medialität bei mir weitergegangen ist? Die Schauplätze haben sich verlagert. Und so haben auch wir uns ein wenig aus den Augen verloren. Verbunden sind wir noch über Deine Buchreihe Post_koloniale Medienwissenschaft. Vielleicht sollten wir mal wieder gemeinsam Fahrt aufnehmen und uns über den Postkolonialismus und die seit einiger Zeit über ihn geführten Debatten verständigen. Kürzlich war ich auf einer Veranstaltung, und da sagte ein geschätzter Autor und Denker, man müsse sich der plumpen Gleichsetzung von Postkolonialismus und Antisemitismus erwehren. Absolut! Aber ich frage mich, ob das reicht, ob es das Einzige ist, was man tun sollte. Müsste man nicht gleichzeitig innerhalb des weiten Feldes des Postkolonialismus irgendwie zu intervenieren versuchen? Müsste man nicht, wenn man sich unter dem Label Postkolonialismus versammelt, wie bei der Veranstaltung, wie bei Deiner/unserer Buchreihe, zur Kenntnis nehmen, dass sich auch andere unter diesem Label versammeln, die sich offenbar schwer damit tun, Empathie für die Opfer des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 zu zeigen, Antisemitismus als Faktor im Nah-Ost-Konflikt anzuerkennen? Diese Debatte ist keineswegs neu, spätestens seit der sogenannten Causa Mbembe liegen mehr oder weniger alle Argumente auf dem Tisch. Aber sie schlägt gerade mit voller Wucht und auf äußerst schmerzhafte Weise ein. Und in äußerst düsteren Momenten scheint es so, als ob sich hier die Hall’sche Aufteilung zwischen west und rest manifestiert bzw. reproduziert. Andererseits gibt es immer wieder auch und gerade in den letzten Wochen starke Stimmen, die Mut machen, einen guten Ton anschlagen, irgendwie nach vorne weisen. Vielleicht sollten wir diese Stimmen zu versammeln versuchen und einen Aufschlag machen. Das würde mich interessieren.

Was mich noch so umtreibt? Gerade bin ich am Ost-West-Verhältnis dran. Schaue zum Beispiel Filme und sammle Zitate. Ein Favorit: „Bei uns war es so, dass wir eigentlich ziemlich klassisch in einem der dunkelsten Hinterhäuser von Berlin gewohnt haben, während vorne in der Beletage, in den schönen Vorderhaus-Wohnungen, nach und nach dann so WG’s mit überwiegend westdeutschen Leuten eingezogen sind.“ Das sagt, in Capital B, der Miniserie über den Boom und Ausverkauf Berlins nach der Wende, Andrej Holm, Hausbesetzer Anfang der 90er Jahre in Ostberlin (Regie Florian Opitz, 2023, arte/rbb, 250min). Und so oder so ähnlich sagen es zahlreiche Interviewpartner*innen, mit denen wir – mein Kollege Mathias und ich – Gespräche über die Erinnerungen an die Wendezeit führen. Ist ja irgendwie auch postkolonial (oder vielleicht müsste man sagen: ostkolonial). Und die Linke mittendrin. Noch einmal Capital B, dieses Mal Sandy, ebenfalls Hausbesetzer Anfang der 90er Jahre und außerdem ein Freund: „Es war ganz klar, dass es eine Dominanz der Wessis gab, und da muss man sagen, haben wir die Ossis genauso wie alle anderen in der Gesellschaft aus’m Westen marginalisiert und in die Ecke gedrängt. Das ist rückblickend schon ganz schön bitter, auch ein bisschen peinlich vielleicht, aber das gehört zur Geschichte dazu. Also auch wir Kleinen haben das reproduziert, was die Politiker*innen im Großen gemacht haben.“ Auch ein Projekt, das irgendwie so vor sich hinwächst, ohne konkretes Ziel: die Linke und die Wende. Wenn man sich Texte aus dieser Zeit vergegenwärtigt, hat man bisweilen das Gefühl, sich im Hamsterrad der Geschichte zu drehen, gerade auch beim Thema Antisemitismus oder bei der Auseinandersetzung zwischen Rassismuskritik einerseits und Antisemitismuskritik andererseits (auch wenn es damals vielleicht weniger ausdifferenziert war). Interessant und manchmal auch ein wenig erschreckend. Ein Interviewpartner sagte sinngemäß, wir – die Linke – stecken immer noch in den Debatten oder Konfliktkonstellationen fest, die Anfang der 90er entstanden sind.

Vielleicht etwas random, was ich hier zu Papier bringe. Aber während ich schreibe, merke ich, dass es mir Spaß macht, mir Dich als Gegenüber vorzustellen. Wie gesagt, vielleicht sollten wir mal wieder gemeinsam Fahrt aufnehmen. Ein Vorschlag ist gemacht.

Halte die Ohren steif und den Kopf oben (letzteres sagt man beim Fußball, wie ich heute bei der Übertragung des Spiels meiner Mannschaft lernen konnte – hat leider nichts genützt).

Bis bald, Dein Pussa