jauchzen ächzen andersmachen

für ulrike bergermann

?

jauchzen ächzen andersmachen

„Protestperlen“ ist ein Geschenk für Ulrike Bergermann zum 60. Geburtstag.
Mit „Protest“ und „Perlen“ scheinen uns die vielfältigen Relationen treffend charakterisiert, die Ulrike mit Menschen aus unterschiedlichsten Feldern verbindet.
Gemeinsam jauchzen wir, ächzen wir und gemeinsam wollen wir Dinge andersmachen!
Um Ulrike und ihre Großartigkeit zu feiern, haben wir Freund*innen und Kolleg*innen eingeladen Perlen für diese Website beizutragen – Euch allen sei herzlich gedankt!

Initiative, Idee, Konzept und Koordination:
Andrea Seier, Christine Krischan Hanke, Henriette Gunkel, Nanna Heidenreich, Sybille Bauriedl.

Graphisches Konzept, Layout und Umsetzung:
Fritz Laszlo Weber.

28.02.2024

Mit Beiträgen von

Hinweis zur Nutzung

Protestperlen, die auf diesem Computer noch nicht besucht wurden, haben einen leuchtenden Schatten. Nach dem Besuch verschwindet der Schatten. So sind unbesuchte Protestperlen leicht visuell erkennen.
Der Speicher für besuchte Protestperlen kann über diesen Link zurückgesetzt werden. Danach leuchten wieder alle Perlen.

Peter Rehberg

Fan und Forscher_in

2023 über Madonna zu sprechen, die mit ihrer Celebration-Tour gerade ihr 40. Jubiläum feiert, kann schnell zu Popnostalgie führen – den Stars der eigenen Jugend und dem eigenen Jungsein hinterhertrauern, als Körper, Politik und Sexualität noch scheinbar mühelos zusammengehörten; oder auch zu Mediennostalgie: Die 1980er und frühen 1990er, als vor dem Internet Musicvideos auf MTV das die Popkultur definierende Format waren. Madonna war natürlich diejenige gewesen, die wie keine andere bewiesen hatte, wie Pop und Medienformat zusammengehören.  

Dass man über diese Fragen damals nicht nur als Fangirl/Fanboy debattieren konnte (Ulrike: „Die Madonna von This Used to Be My Playground ist doch bieder und langweilig, Peter: „Ja, aber sich nach den Pop Extravaganzen und Experimenten von „Vogue“ und „Justify My Love“ nun als Balladen-Sängerin zu profilieren auch clever...“, usw.) habe ich von Ulrike Bergermann gelernt.

Pop-bezogene Fragestellungen kamen in der Hamburger Germanistik der frühen 1990er eigentlich nicht vor. Medienwissenschaft begann gerade erst Einzug in die Lehre zu halten. Angeboten jedenfalls nicht von Professor_innen mit fester Stelle, sondern wenn überhaupt von Lehrbeauftragten. Meine Einführung in die feministische Filmtheorie habe ich Claudia Reiche zu verdanken. Meine theoretische Auseinandersetzung mit Pop, erst in privaten Gesprächen, später in den Lektüren ihrer Texte, Ulrike Bergermann (die mir ein paar Jahre an der Uni voraus hatte). Wir waren Studierende von Marianne Schuller, die sich zwar nicht gerade als Pop-Expertin zu erkennen gab, aber selbstverständlich Schlaues und Witziges auch dazu zu sagen hatte.

Nachdenken über Rockmusik hatte zu jener Zeit, wenn vielleicht auch nicht den Status einer akademischen Auseinandersetzung, so doch zumindest schon zur Etablierung einiger Plattformen geführt, in einer sich selbst sehr ernst nehmenden Presse wie dem New Musical Express oder dem deutschsprachigen Sounds und später Spex. Und auch wenn Diedrich Diederichsen seit Sexbeat die postmoderne Künstlichkeit von Zitat-Pop gegenüber dem Hippie-Sound der 1970er affirmierte – 1980er Jahre Bands wie ABC, Spandau Ballett, später Pet Shop Boys – vertraue ich bis heute eher den feministischen und schwulen Stimmen, wenn es um Madonna und Pop geht.

Zum Beispiel die Texte, die in dem von Lisa Smith und Paul Frank herausgegebenen Band Madonnarama von 1993 als Reaktion auf die Erotica LP und das Sex-Buch versammelt waren. Patrick Califa, bel hooks, Michael Warner und Douglas Crimp dachten über Madonna nach. Mehr queere Anerkennung geht eigentlich nicht (auch wenn Madonna, wie wir nur allzu gut wussten, als queerer und feministischer Star von Anfang an ambivalent blieb, Sichtbarkeit von Queers of Color durch Appropriation usw.).

Im deutschsprachigen Unidiskurs gehörte Ulrike zu den ersten, die was zu Madonna zu sagen hatten. Die deutsche Kontextualisierung erwies sich als äußerst ergiebig: Madonnas Marlene-Dietrich-Bezüge, genauso wie ihre Remediation von Old Hollywoods mise-en-scène im Format des Musikvideos waren unübersehbar und brachten Techniken der Produktion bewegter Bilder neu zu Bewusstsein. Als sehr produktiv zeigte sich, die Inszenierungen von Gender – deren performative Dimension von Butler in ihrem vollen Gewicht genau zu dem Zeitpunkt beschrieben worden war, als sich Madonna 1990 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere befand – aus der Tradition der deutschsprachigen Filmkritik der 1920er und frühen 1930er zu betrachten: Ulrike las Madonna mit Siegfried Kracauer als Femme Fatale bzw. Vamp des Musikvideozeitalters – als „Video-Vamp“. („Madonna ff“. In: FKW. Zeitschrift für Geschlechterforschung und Visuelle Kultur 19 (1995)) Madonnas aktuelle Celebration-Tour führt genau das noch einmal vor Augen: Wie sehr sich die Bilder von ihr dem visuellen Archiv der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdankt.

Die Diversifizierung und Flexibilisierung des kultur- und medienwissenschaftlichen Kanons, seine mehrfachen inhaltlichen, methodischen und politischen Updates, macht es heute schwerer vorstellbar, welche Errungenschaft damals darin lag, sich Popthemen akademisch zuzuwenden, innerhalb einer Geisteswissenschaft, die die angloamerikanischen Cultural Studies oft arrogant belächelte, auch wenn sie international schon längst den Sieg davongetragen hatten. Dabei ging es ja genau darum, Cultural Studies und Theory zusammenzudenken und Pop nicht allein den Soziolog_innen zu überlassen. 

Später hat sich Ulrike nicht mehr länger bei Madonna aufgehalten (ich selber kann tatsächlich nicht aufhören über Madonna zu reden, schreibe aber lieber journalistisch dazu). Der Popfeminismus der 2000er, der sich in vieler Hinsicht Madonna verdankte, formulierte zugleich auch eine grundlegende Kritik an Madonna. (Sarah Kane: „Das emanzipatorische Heroenbild namens Madonna, das wichtig gewesen sein mag auf dem Weg einer gesellschaftlichen Integration der ‚aufstrebenden‘ Teile der Gesellschaft verdient eine grundsätzliche Korrektur. Der Vertreter einer diskriminierten Minderheit, der sich an Madonnas Musik glücksvoll berauscht und gestählt hatte, besitzt mittlerweile seinen Platz auf der Bühne des neoliberalen Dancefloors und darf sich gemeinsam mit allen anderen fragen lassen, ob das alles sein soll.“) Akademisch schien das Thema spätestens seit ca. 2010 dann sowieso ausgereizt. Madonnas zunehmende Selbstmusealisierung war in erster Linie nur noch für Fans interessant. 

Popgesprächsstoff gab es zwischen Ulrike und mir aber auch weiterhin: Unsere Freude daran, scheinbar einfachen Popkram zu problematisieren, hörte nicht auf. Dass sich die Positionen von Fan und Forscher_in nicht ausschließen, wurde für mich zum Arbeitsprinzip. Nicht weniger bedeutend für das schwule Fühlen und Denken als Madonna, war der Eurovision Song Contest (ESC). Bis in die proto-queer Kindheit der 1970er zurückreichend, ließen sich mit dem ESC noch immer Fragen der queeren Gegenwart verfolgen. Unser queer-feministisches Bonding kam auch hier zum Zug: Für Ulrike war genauso klar wie für mich, was daran interessant sein konnte. Sie lud mich nach Braunschweig ein, um gemeinsamen zu untersuchen, wie queere Positionen, Race, Postkolonialität und Celebrity Culture beim ESC auf widersprüchliche Art wiederzufinden waren. Solche Diskussionen haben wir immer noch. Zusammen vor der Klasse oder auf Partys. Fan-Talk und Forscher_innen-Talk, so wie vor 30 Jahren über Madonna.