jauchzen ächzen andersmachen

für ulrike bergermann

?

jauchzen ächzen andersmachen

„Protestperlen“ ist ein Geschenk für Ulrike Bergermann zum 60. Geburtstag.
Mit „Protest“ und „Perlen“ scheinen uns die vielfältigen Relationen treffend charakterisiert, die Ulrike mit Menschen aus unterschiedlichsten Feldern verbindet.
Gemeinsam jauchzen wir, ächzen wir und gemeinsam wollen wir Dinge andersmachen!
Um Ulrike und ihre Großartigkeit zu feiern, haben wir Freund*innen und Kolleg*innen eingeladen Perlen für diese Website beizutragen – Euch allen sei herzlich gedankt!

Initiative, Idee, Konzept und Koordination:
Andrea Seier, Christine Krischan Hanke, Henriette Gunkel, Nanna Heidenreich, Sybille Bauriedl.

Graphisches Konzept, Layout und Umsetzung:
Fritz Laszlo Weber.

28.02.2024

Mit Beiträgen von

Hinweis zur Nutzung

Protestperlen, die auf diesem Computer noch nicht besucht wurden, haben einen leuchtenden Schatten. Nach dem Besuch verschwindet der Schatten. So sind unbesuchte Protestperlen leicht visuell erkennen.
Der Speicher für besuchte Protestperlen kann über diesen Link zurückgesetzt werden. Danach leuchten wieder alle Perlen.

Maja Figge

Implikationen weißer Schuld im deutschen Kontext

Weiße Abbitten

Eigentlich wollte ich einen kleinen, etwas launigen Text über die (Un-)Produktivität ‚weißer Schuld‘ als ein Konzept innerhalb Kritischer Weißseinsforschung schreiben: über das Steckenbleiben in Schuld oder Schuldabwehr – und als Fluchtlinie die Frage der individuellen und/oder kollektiven Verantwortung. Die Idee kam mir, weil ich mindestens ein kurzes Pausengespräch mit Dir, liebe Ulrike, erinnere, in dem wir uns in selbstironischen Wortwechseln erzählten, wie wir zum Konzept der white guilt stehen und jeweils damit umgehen. Damals war dies unterschiedlich, so erinnere ich es jedenfalls. Wenn ich mich nicht täusche, sagtest Du sowas wie, „noch mittendrin“, ich hingegen war von der Produktivität der Auseinandersetzung nicht überzeugt. Nun wollte ich mich also mit dem Abstand vieler Jahre (mindestens zehn) nochmals mit dieser Frage ernsthafter beschäftigen – auch deshalb weil die Auseinandersetzung mit Critical Whiteness ein gemeinsamer Forschungsschwerpunkt war, als wir uns im medienwissenschaftlichen Kontext wiederbegegneten, nachdem wir uns Ende der 1990er Jahre bei Bildwechsel e.V. in Hamburg zum ersten Mal getroffen hatten.

Ich begann also zu recherchieren und stieß auf einige neuere wissenschaftliche Texte, die sich mit white guilt im Zusammenhang mit den US-amerikanischen Black Lives Matter-Protesten nach der Ermordung George Floyds 2020 aus sozialpsychologischer Perspektive auseinandersetzten,1 und fand Blog-Beiträge, die von performativen Abbitten weißer Aktivist*innen bei öffentlichen Demonstrationen berichteten – und dies als performativ kritisierten und vor allem darauf hinwiesen, dass diese Form der Buße von Rassismus betroffene Minderheiten verletze, weil sie die Vorstellung impliziert, diesen könne so geholfen werden.2 Damit werde aber Minderheiten ihre Agency abgesprochen und diese würden viktimisiert. Rav Arora vermutet, dass „perhaps ironically, both progressive anti-racists and white supremacists fail to see people who look like me as equal to whites.”3

Hier stellte sich also die Frage nach Formen der (Nicht-)Performativität von weißem Antirassismus, wenn diese als Deklarationen oder Performances von Whiteness daherkommen – eine Kritik, die Sara Ahmed bereits vor 20 Jahren formuliert hat. Ahmed bezieht sich in ihrem Aufsatz „Declarations of Whiteness“ auf die Kritiken an Deklarationen weißer Schuld von bell hooks und Audre Lorde, wenn sie argumentiert, dass es gerade die durch weiße Privilegien und Rassismus ausgelösten schlechten Gefühle seien, die zu einer Rezentrierung des weißen Subjekts führen können.4 In Sister Outsider schreibt Audre Lorde, dass Schuld zu häufig zu einem Mittel werde, die eigene Ignoranz und die Kontinuität der (rassistischen) Verhältnisse zu beschützen.5 Ein so verstandener Antirassismus wird, wie Ahmed betont, in dieser Spielart zu etwas, das eine positive weiße Identität hervorbringen kann:

„The declaration of such an identity is not in my view an anti racist action. Indeed, it sustains the narcissism of whiteness and allows whiteness studies to make white subjects feel good about themselves, by feeling good about ‚their‘ antiracism. […] If bad feeling is partly an effect of racism, and racism is accepted as ongoing in the present (rather than something that happened in the past), then who gets to feel bad about racism? One suspects that happy whiteness, even when this happiness is about racism, is what allows racism to remain the burden of non-white others.”

Ahmeds Anliegen besteht genau darin, die Behauptung der Performativität dieser Deklarationen zu kritisieren. Das Problem besteht für sie in der Struktur der Aussage – nicht das zu tun, was sie behauptet zu tun, nämlich den Rassismus zu transzendieren – und diese im gleichen Zug auf andere zu übertragen. Auf letzteres komme ich später zurück. Und auch um eine andere Möglichkeit, die Lorde bereits angedeutet hatte, soll es am Ende gehen: für sie kann, nur wenn Schuld mobilisiert wird und so zur Veränderung führt, von Nutzen sein; doch dann hört sie nach Lorde auf, Schuld zu sein, und stellt den Anfang von Wissen dar.6 Lisa B. Spanierman greift diesen Faden auf, wenn sie mit Bezug auf die Black Lives Matter-Proteste in den USA schreibt, dass es zu lernen gelte, die Gefühle von weißer Schuld, die sie als eine besondere Form kollektiver Schuld versteht, bewusst umzuarbeiten, von „performative allyship“ zu einem „lifelong, meaningful commitment to racial justice“, in dem die weißen Privilegien unter anderem im Sinne einer Umverteilung genutzt werden können.7

„Free Palestine from German Guilt“

Dann begegnete mir in der Berichterstattung über die Proteste gegen die Bombardierung Gazas durch die israelische Armee in Folge des verheerenden und brutalen Massakers der Hamas am 7. Oktober 2023 der Slogan „Free Palestine from German Guilt“ und ließ mich zunächst, sowieso schon erschüttert von den sich überschlagenden Ereignissen der vorangegangenen Wochen, ratlos zurück. Ich werde weiter unten darauf zu sprechen kommen, wie sich white guilt und German Guilt zueinander verhalten, zunächst möchte ich aber die Situation beschreiben, in der der Slogan auftauchte und auf einige Einschätzungen zum Anliegen dieser Parole eingehen, die mich im ersten Moment mit Unbehagen erfüllten.

Öffentliche Aufmerksamkeit generierte die Parole nach einer unter dem Motto „Not in my Name – Für den Frieden in Israel und Palästina“ angemeldeten Mahnwache vor dem Auswärtigen Amt in Berlin-Mitte am 18. Oktober 2023. Nachdem die Veranstalterin von der Berliner Initiative für Frieden im Nahen Osten direkt zu Beginn die Versammlung aufgelöst hatte, setzte sich eine Gruppe auf die Straße und skandierte im Sprechchor die Parole, wie in einem von der Berliner Zeitung auf der Plattform X veröffentlichten Handyvideo zu sehen ist.8

Zu diesem Zeitpunkt waren in Berlin alle Pro-Palästina Demonstrationen aufgrund der Gefahr, „dass es bei der Versammlung zu volksverhetzenden, antisemitischen Ausrufen, Gewaltverherrlichungen (…) sowie Gewalttätigkeiten kommt“ verboten.9 Dazu gehörte auch das Verbot bestimmter Kleidungsstücke und Parolen, nachdem es vor allem unmittelbar nach dem Bekanntwerden des brutalen Angriffs der Hamas zu spontanen öffentlichen Unterstützungsbekundungen und Feiern gekommen war – dies war der Anlass, aber ob dies die Einschränkung der Meinungsfreiheit und des Demonstrationsrechts rechtfertigt, wage ich zu hinterfragen. Auch die damit einhergehende Aufforderung zur Distanzierung von der Hamas impliziert, dass alle Palästinenser*innen oder Deutsche mit palästinensischer Familiengeschichte unter Bekenntniszwang gestellt werden, dem ein Verdacht vorausgeht. Dazu gehört auch die an Fahrt aufnehmende Formel des „importierten Antisemitismus“, die im krassen Unterschied zur Realität steht, in der ca. 84% aller antisemitischen Straftaten in Deutschland von rassistischen bzw. neonazistischen Tätern begangen werden, und dazu dient, den Migrationsdiskurs noch weiter nach rechts zu verschieben.10 Das bedeutet nicht, dass es keinen muslimischen oder auf Israel bezogenen Antisemitismus gäbe, und dass dieser nicht bekämpft werden muss, nur dass die Rede vom ‚importierten Antisemitismus‘ als Externalisierung die ‚Schuld‘ auf Menschen überträgt, die in Deutschland häufig von anti-muslimischem Rassismus betroffen sind.11 Dazu kamen die zahlreichen Absagen und Ausladungen von kulturellen Veranstaltungen, was das gemeinsame Sprechen noch weiter erschwerte. Während das Schweigen der Mehrheitsbevölkerung als fehlende oder ‚selektive Empathie‘ gedeutet wurde, lässt sich dieses durchaus auch als minoritäre Verweigerung der empfundenen Aufforderung zur Positionierung und damit der Beteiligung an der gesellschaftlichen Polarisierung verstehen, wie Hadija Haruna-Oelker und Max Czollek in der elften Folge ihres Podcasts „Trauer und Turnschuh“ unter dem Titel „Trotz allem: Gegen die Polarisierung“ diskutieren.12

Vieldeutigkeit

Diese Haltung gegen die Polarisierung leitet auch mein Nachdenken über die Parole „Free Palestine from German Guilt“. Das beinhaltet auch, den Zweifel einzuziehen, immer schon sofort wissen zu können, um was es geht. Ausgehend davon folge ich der Frage, unter welchen Voraussetzungen und historisch-diskursiven Bedingungen die Parole Sinn ergeben könnte, nicht um sie zu rechtfertigen, sondern um sie zu analysieren und einzuordnen – und im besten Fall ihre Genese aufzuarbeiten (was dieser Beitrag nicht leisten kann, denn dies wäre eine gemeinsame Anstrengung vieler).13

Zunächst ist zu sagen, dass der erste Teil, die Forderung nach einem „Free Palestine“, kontextabhängig ist und auf den Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung verweisen kann, ohne den Staat Israel in Frage zu stellen, aber nicht muss. Mit Hanna Pfeifer und Irene Weipert-Fenner möchte ich hier die Vieldeutigkeit betonen, die die Parole auszeichnet:

„Die zentralen Parolen, die im Umlauf sind, sind vieldeutig: Solidarität mit Israel, Free Palestine. Sie sind einerseits ‚empty signifier‘ auf die – von innen wie außen – (fast) alle möglichen Deutungen projiziert werden können. Sie fungieren andererseits als Identitätsstempel, die nach innen wie außen markieren sollen, ‚auf welcher Seite‘ man steht. Damit dienen sie weder als inhaltliche Grundlage für konkrete Policies noch als ausreichender Anfangsverdacht für moralische oder gar rechtliche Verurteilungen. Um für das eine oder andere nutzbar zu sein, müssen Parolen konkretisiert werden, muss gesagt werden, was tatsächlich gemeint ist.“

Man könnte meinen, der Zusatz „from German Guilt“ würde es konkreter machen – aber auch das kommt auf die Perspektive an. Mich hat die Parole beunruhigt, weil ich mich an die meist neurechte bzw. völkisch geschichtsrevisionistische Rede von der deutschen Erinnerungskultur als „Schuldkult“, der abgeschafft gehöre, erinnerte. Im Zivilgesellschaftlichen Lagebild Antisemitismus Nr. 12 „Angriffe auf die Erinnerung“ der Amadeu-Antonio-Stiftung, das insbesondere die neurechten, rechtsextremen Angriffe der letzten Jahre nachzeichnet, wird der Spruch als Kombination von sekundärem Antisemitismus und Israelbezogenem Antisemitismus gedeutet.14 In einigen Beiträgen wurde der Slogan eher als eine im linken Antisemitismus verortete Schuldabwehr verstanden.15 Der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm hält den Slogan für „grotesk, weil er suggeriert, es wäre leichter, Palästina von den Juden zu befreien, wenn die deutsche Schuld dem nicht im Wege stünde.“16 Das bedeutet auch, dass sich die Parole doch nicht so einfach in ihre Einzelteile zerlegen lässt, auch wenn zu klären ist, was jeweils unter „German Guilt“ gefasst wird. In den kritischen, ablehnenden Deutungen ist es die deutsche Erinnerungskultur an den Holocaust, wie auch in der Einschätzung des Historikers Raphael Gross deutlich wird:

„Das ist vielleicht der perfideste Angriff auf die mühsam und gegen viele Widerstände erkämpfte Auseinandersetzung Deutschlands mit dem Holocaust. Sie verbinden sich mit merkwürdigen Konstellationen, wie diejenige von Hubert Aiwanger, der ausgerechnet heute vor zugewandertem Antisemitismus warnt. Das sind Versuche, die deutsche Vergangenheit insgesamt zu entsorgen. Dazu gehört auch, wie wenig über Antisemitismus nachgedacht wird und wenn, in welchen Klischees.“

So harsch der Superlativ klingt, so teile ich doch die bei Gross anklingende Einschätzung, dass häufig unklar ist, was alles unter Antisemitismus fällt und was nicht, und, für diesen Text noch relevanter, dass das „Nie Wieder“ keineswegs selbstverständlich ist. Für mich bedeutet das, hier weniger über die ebenso viel gelobte17 wie viel kritisierte deutsche Erinnerungskultur an sich nachzudenken, als über ihr Verhältnis zu den Erinnerungskämpfen, die nicht nur konstitutiv für sie waren,18 sondern auch weiterhin das hegemoniale Narrativ „stören“ und hierfür Geschichte und Gegenwart ohne Relativierung in Beziehung zueinander setzen.19

Exkurs: Erinnern erkämpfen

Ich schreibe diesen Text rund um den vierten Jahrestag des rassistischen Terroranschlags von Hanau am 19.02.2020, bei dem neun Menschen ermordet wurden: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Bei einer Gedenkveranstaltung am 19.02.2024 auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg wurde einmal mehr klar, dass das gegenwärtige „Versöhnungstheater“, als das Max Czollek in seinem gleichnamigen Buch die deutsche Erinnerungskultur seit 1990 bezeichnet, die deutsche Schuld und damit die deutschen Verbrechen als ausschließlich vergangen markiert – dies aber ist eine dominante Perspektive. Auch wenn die Verhältnisse heute grundlegend andere sind, hat die Bedrohung für manche nicht aufgehört: Der Vater von Mercedes Kierpacz, Filip Gorman, hat darauf verwiesen, dass sein Großvater als Rom in Auschwitz ermordet wurde.20 Ich meine hier nicht nur die unzähligen personellen und materiellen Kontinuitäten vor allem im Nachkriegswestdeutschland, die fehlenden Verurteilungen21 und die Schuldabwehr, die bis in die frühen 1980er Jahre reichte, sondern auch die rassistischen Morde und Pogrome der 1990er Jahre, die durch einen rassistischen Diskurs bürgerlicher Parteien begleitet wurden und schließlich zur Grundgesetzänderung und damit zur faktischen Abschaffung des Asylrechts führten.22 Begleitet von einer falsch verstandenen akzeptierenden Jugendarbeit, einem V-Leute-System, das indirekt Neonazistrukturen finanzierte, und der Kriminalisierung von Antifaschist*innen, wuchsen so die auch international vernetzten Strukturen heran, aus denen der „Nationalsozialistische Untergrund“ hervorging; weder in Hanau noch im Zusammenhang des NSU-Komplexes sind bislang alle Verwicklungen der staatlichen Organe aufgedeckt. Anlässlich des zweiten Jahrestages des rassistischen Terroranschlags von Hanau schreiben Ibrahim Arslan, Überlebender des rassistischen Brandanschlags von Mölln 1992 und Newroz Duman von der Initiative 19. Februar in Hanau:

„Es darf kein Vergessen geben! Ein einfacher Satz. Es ist ein Satz, der uns verbindet. Hinter seiner Einfachheit verbergen sich die Geschichten und Erfahrungen Unzähliger. Er ist die Lösung antifaschistischer Kämpfe, die eine Linie der Kontinuität aufzeigt, die von Hanau im Jahr 2020, nach Mölln im Jahr 1992, bis hin zur nationalsozialistischen Gewalt der 1930er und 1940er Jahre reicht. Dieser Satz ist nicht nur das verbindende Element unserer Kämpfe, er ist auch die Bedingung für ein würdiges Erinnern. Ein würdiges Erinnern, das wir gewillt sind zu erkämpfen. Die Erinnerung an das Geschehene, an das Vergessene, an das stets Verschwiegene, an die Ursachen und die Folgen, an das Davor und Danach zu nähren, zu pflegen, zu bewahren. Diese Erinnerung muss zur Erinnerung aller werden. Denn sie mahnen uns, sie lehren uns, sie leiten uns. Diese Forderungen sind aktueller denn je. Es gibt eine Kontinuität rechter Gewalt in diesem Land, die es genauso zu benennen gilt, wie die Kontinuität, wie wir mit Betroffenen und Angehörigen umgehen.“

Diejenigen, die von diesen ideologischen Kontinuitäten getroffen und deren Leben bedroht sind, Jüdinnen und Juden, Roma und Sintizze, Menschen mit Migrationsgeschichte, Muslim*innen u.v.m. sollten nicht zur Verantwortung für die Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld gezogen werden. Esra Özyürek hat genau diese Instrumentalisierung in ihrem Buch Subcontractors of Guilt (2023) am Beispiel der Holocaust Education für muslimische Jugendliche herausgearbeitet. Sie verweist darauf, dass es häufig an nicht-wertenden, anerkennenden Reaktionen fehle, wenn ein Auschwitzbesuch von Menschen, die in Deutschland Rassismus ausgesetzt sind, mindestens Ängste auslöst. Die Bezugnahme der durch Rassismus getroffenen auf die im Nationalsozialismus verfolgten verweist auch auf die wichtigen Geschichten der Solidarisierung: so waren jüdische Gemeindemitglieder häufig die einzigen, die die Kämpfe von Roma und Sintizze für die Anerkennung des Porajmos als Völkermord seit den 1970er Jahren verstärkt haben. Und auch bei den rassistischen Anschlägen in den 1990er Jahren waren es meist Jüdinnen und Juden, die den Opfern und ihren Angehörigen als erstes zur Seite standen. Czollek erinnert in Versöhnungstheater u.a. an einen Text, den der Autor und Holocaust-Überlebende Ralph Giordano zwei Tage nach dem tödlichen Brandanschlag von Solingen am 29.05.1993, bei dem fünf Mitglieder der Familie Genç starben, in der taz veröffentlichte.23 Ebenso sind die Möllner Reden im Exil unter dem Motto „Reclaim and Remember“, die seit 2013 jährlich vom Freundeskreis im Gedenken an die rassistischen Brandanschläge in Mölln 1992 in verschiedenen Städten stattfinden, starke Zeichen der Solidarisierung: Zum Beispiel wurde sie 2017 von der 2021 verstorbenen jüdischen Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano gehalten, vorgetragen von ihrem Sohn Joram Bejarano, und 2021 gemeinsam von Newroz Duman und Naomi Henkel-Gümbel, einer der Überlebenden des antisemitischen, rassistischen und misogynen Anschlags auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 an Jom Kippur, gehalten.24 Und eins noch: die in der dominanten Erinnerungskultur häufig implizit enthaltene Behauptung, es gäbe die Deutschen, die Nachfahren der Nazis sind, und die anderen, ist selbst ein Phantasma; sie ignoriert, dass in einer Gesellschaft in der nahezu 30% der Bevölkerung eine Migrationsgeschichte haben und Menschen multidimensionale Familienbiografien aufweisen:25 sie können etwa einen Nazi-Opa haben und jüdisch, muslimisch oder Schwarz, und gleichzeitig mit den Geschichten von Holocaust, Kolonialismus/Versklavung und anderen Genoziden oder Gewaltgeschichten transnational und transgenerational verbunden sein – die Vielen wissen, wie man verschiedene Erfahrungen der Verfolgung, der Gewalt, des Traumas ohne Konkurrenz und Relativierung nebeneinanderlegt.

Trennen und Verbinden

Ich habe bislang in der deutschen Presse drei Artikel gefunden, die eine andere Deutung der Parole als die oben aufgeführten anbieten und deren Fährte ich im Folgenden aufnehmen will: Beginnen möchte ich mit dem einzigen Beitrag, der eine palästinensische Perspektive einbringt. Auch dieser geht eher von einer geteilten als von einer getrennten Geschichte aus: Die Kulturwissenschaftlerin Sarah El-Bulbeisi spricht sich im Interview in der taz dafür aus, die Nakba und die Gewalterfahrungen der Palästinenser*innen anzuerkennen, und fordert ein Sprechen ein, das die Gewaltgeschichten nebeneinanderlegt und miteinander verbindet: „Wenn man von Schuld spricht, müsste man auch sagen: Unser Nationalsozialismus hat zur Schoa und auch zur Nakba geführt.“26 Daraufhin spricht die Journalistin Julia Neumann ebenfalls den Slogan an und fragt, ob ihre Aussage eine Erweiterung der deutschen Schuld auf die Nakba impliziere. El-Bulbeisi ist der Ansicht, der Spruch sei polemisch gemeint, und führt dann den Gedanken fort: „Verantwortung wäre vielleicht das bessere Wort. Eine erneuerte Form, Verantwortung für die eigene Geschichte zu übernehmen.“27 Während ich die behauptete lineare Kausalität für eine Verkürzung einer längeren und komplexeren Geschichte halte, leuchtet mir doch El-Bulbeisis Forderung nach Verantwortung für die eigenen – pluralen und teilweise miteinander verflochtenen – Geschichten statt Schuld ein.

Auch Aleida Assmann spricht von Verantwortung, plädiert aber für eine Trennung der Kontexte. „Wir“ als Deutsche hätten die Verantwortung, die palästinensische Geschichte, die Assmann unter dem Stichwort Post-Nakba im Unterschied zu Post-Holocaust diskutiert, getrennt von unseren anzuerkennen. Sie schreibt: „‚Free Palestine from German Guilt‘ – dieser Slogan ist also durchaus ernst zu nehmen: Statt die unterschiedlichen Geschichten […] zu vermengen und zu überblenden, sollten sie klarer auseinandergehalten werden.“28 Susan Neiman argumentiert ähnlich: sie hält es für falsch, „alles, was passiert, in Israel-Palästina oder sonst auf der Welt, nur im Licht der deutschen Schuld zu betrachten.“29 Für sie sei das Problem, dass die Fokussierung auf den Holocaust, die Dringlichkeiten der Gegenwart aus dem Blick verliere. Auf den Slogan angesprochen, antwortet sie, dass in diesem „ein Fünkchen Wahrheit“ darin stecke.30 Was ist mit diesem Fünkchen Wahrheit gemeint? „Derzeit steht die deutsche Politik bedingungsloser hinter der israelischen Regierung als die amerikanische Politik, die immer Israels größter Unterstützer war.“31

Alle drei Artikel verstehen die Parole im Kontext der derzeitigen politischen Situation und scheinen implizit auf die sich im aktuellen Diskurs verändernde Funktion der Formel der deutschen Staatsräson zu rekurrieren, die seit der Rede Angela Merkels vor der Knesset am 18. März 2008 bei jeder Gelegenheit bemüht wird. Damit ist die historische Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels gemeint.32 In seinem Artikel zum Gebrauch des Begriffs der Staatsräson nach dem 7. Oktober zeichnet der Rechtswissenschaftler Ralf Michaels auch die Debatten um den Begriff und vor allem seine Konsequenzen nach, denn der Begriff selbst, der seit seinem Aufkommen in der politischen Theorie der italienischen Renaissance für ein Nützlichkeitsdenken ohne Rücksicht auf Recht und Moral stehe, steht schon aus diesem Grund mindestens in einem Spannungsverhältnis mit Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht.33 Michaels beobachtet eine Verschiebung, die sich vor allem darin niederschlage, dass außenpolitisch mit der Staatsräson ausschließlich eine unhinterfragbare Unterstützung der Kriegsführung und innenpolitisch rechtliche Verschärfungen – sogar Einschränkungen des Grundgesetzes – im Namen der Staatsräson umgesetzt würden. Dabei habe aber gerade der 7. Oktober gezeigt, dass die Staatsräson versagt habe, denn sie konnte Israel nicht vor dem Angriff der Hamas schützen, und auch sei unklar, ob der darauffolgende Krieg mit dem erklärten Ziel, die Hamas zu zerstören, Israel sicherer mache. Und auch in Deutschland hat sich die Sicherheitslage seit dem 7. Oktober verschärft. Während mittlerweile normalisiert ist, dass jüdische Einrichtungen in Deutschland dauerhaft geschützt werden müssen, sind die antisemitischen Angriffe und Bedrohungen nun stark angestiegen, aber auch rassistische – anti-palästinensische und muslimfeindliche.34 Michaels verweist zudem darauf, dass die uneingeschränkte Unterstützung einer derzeitigen Regierung in Israel gilt, die versucht die Rechtsordnung zu unterwandern. Am Ende seines Beitrags fordert er eine genauere Bestimmung und Begründung unseres Einsatzes für die Sicherheit Israels:

„Die abstrakte Berufung auf eine angebliche Staatsräson verunklart all das. Wer es ernst meint mit der Solidarität mit Israel und dem Eintreten für seine Sicherheit, mit dem Schutz jüdischen Lebens in Deutschland, und mit der Aufrechterhaltung des Völkerrechts und des liberalen Rechtsstaats, der muss die formelhafte Berufung auf die Staatsräson in der jetzigen Form ablehnen.“

„Versöhnungstheater“

Zudem setzt die Bezugnahme auf die deutsche Staatsräson voraus, dass der Rechtsstaat und damit die Demokratie weiter existieren. Die Übernahme rechtspopulistischer Positionen durch bürgerliche Parteien, Gesetzesverschärfungen, wie die weiteren Aushöhlungen des Grundgesetzes auf Asyl, helfen nicht, um die AfD und andere Neurechte zu bekämpfen, sondern bewirken eine stetige Verschiebung des gesellschaftlichen Gefüges nach rechts und stärken nur völkische Positionen. Stattdessen wäre es vielleicht wichtiger, das Grundgesetz, das vor dem unmittelbaren Eindruck der deutschen Verbrechen und der Auseinandersetzung um Kollektivschuld geschrieben wurde, auch in der Weise umzusetzen, dass niemand und insbesondere keine Bevölkerungsgruppen der Lebensgefahr ausgesetzt werden.

Dass nach der Gründung der Bundesrepublik kaum noch von Schuld die Rede war, sondern seit der Regierung Konrad Adenauers die Sprache auf individuelle und kollektive Scham umschwenkte, blieb lange unbeachtet. Matthias Buschmeier hat einen Aufsatz vorgelegt, in dem er entlang der Reden der Bundespräsidenten nachzeichnet, dass die deutsche Erinnerungskultur gerade nicht von Schuldbekenntnissen, sondern von Deklarationen der Scham gekennzeichnet ist.35 Auch Merkel sprach in ihrer Rede vor der Knesset von Scham. 2020 endete diese Geschichte der Schambekundungen, auf die ich gleich zurückkommen werde. In seiner Rede anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz beim fünften World Holocaust Forum in Yad Vashem sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anders als seine Vorgänger davon, dass er „als deutscher Präsident […], beladen mit großer historischer Schuld“36 vor den Versammelten stehe:

„Doch zugleich bin ich erfüllt von Dankbarkeit: für die ausgestreckte Hand der Überlebenden, für das neue Vertrauen von Menschen in Israel und der ganzen Welt, für das wieder erblühte jüdische Leben in Deutschland. Ich bin beseelt vom Geist der Versöhnung, der Deutschland und Israel, der Deutschland, Europa und den Staaten der Welt einen neuen, einen friedlichen Weg gewiesen hat.“

In diesem Zitat aus der Rede Steinmeiers findet Max Czollek den Kern des Versöhnungstheaters, der gegenwärtigen dritten Phase der deutschen Erinnerungskultur, in der „die deutsche Erinnerungskultur selbst zum Ausgangspunkt für eine Neuerfindung Deutschlands wird“,37 indem sie Versöhnung als erreicht erklärt:

„Man trifft sich also, um der Toten zu gedenken und all der Dinge, die hätten sein können. Und während man andächtig schweigt, klatscht der deutsche Bundespräsident in die Hände und ruft: Mensch, also ich finde es wirklich ganz toll, dass wir uns hier versammelt haben, um uns miteinander zu versöhnen!“

Von dieser Idee der erfolgreichen Versöhnung könne nicht mehr abgerückt werden, selbst „wenn“, so Czollek, „sich die Gegenwart nicht entsprechend verhält“.39 Es finde vielmehr eine Entkopplung von symbolischer Handlung und Realität statt, wie sich an der Inszenierung des Kampfes gegen Antisemitismus in der Öffentlichkeit zeige, der mit doppelten Maß misst und den ‚einheimischen‘, gesellschaftlich tief verankerten Antisemitismus nicht in der gleichen Weise skandalisiert, wie den der ‚anderen‘, damit die Erzählung der deutschen „Wiedergutwerdung“40 nicht ins Wanken gerate. Dies hat Konsequenzen für diejenigen, für die die Vergangenheit nicht ‚bewältigt’ ist, denn „eine solche Erinnerungskultur […] hat weder Raum noch Interesse an Gefühlen der Untröstlichkeit und einer Haltung der Unversöhnlichkeit“, was einen Ausschluss „eines erheblichen Teils der Gesellschaft aus der Erinnerungsarbeit“ bedeute.41 Czollek plädiert nicht nur für eine Wahrnehmung der in dieser Version der Erinnerungskultur fehlenden Praxen der Solidarität, auf die ich oben kursorisch eingegangen bin, sondern für ihn geht damit eine Neuausrichtung der Erinnerungskultur einher, die die deutsche Vergangenheit nicht als Ressource in der Gegenwart, sondern als Warnung versteht, bei der die Zukunft auf dem Spiel steht.

Deklarationen der Scham

Das von Czollek beobachtete Gefühl der Wiedergutwerdung lässt sich verstehen, wenn wir nochmals auf die Deklarationen der Scham der früheren Bundespräsidenten blicken. Sara Ahmed hat in ihrer Auseinandersetzung mit öffentlichen Schambekundungen im australischen Kontext gefragt, wie durch diese die Nation als gefühlte hervorgebracht wird und welchen Anteil „nationale Scham“ daran hat, die vergangenen Verbrechen anzuerkennen und zugleich Individuen von Schuld zu entbinden:

"Shame becomes crucial to the process of reconciliation or the healing of past wounds. To acknowledge wrongdoing means to enter into shame; the 'we' is shamed by its recognition that it has committed 'acts and omissions', which have caused pain, hurt, and loss for indigenous others."

In ihren Ausführungen zu individueller Scham beschreibt Ahmed die Gleichzeitigkeit von Verbergen (concealment) und Enthüllung (exposure), die Scham auszeichnet. Diese ist nicht nur etymologisch mit dem indo-germanischen Verb für bedecken (to cover) verbunden, sondern Scham beinhaltet auch den Wunsch, sich zu verstecken (to take cover). Dieser Wunsch entsteht, weil man bereits beschämt wurde, das heißt vor anderen sichtbar geworden ist. Die Scham versucht also das zu verdecken, was bereits enthüllt ist, während sie gleichzeitig das sichtbar macht, was verdeckt wurde: sie deckt auf, enthüllt (uncovers). Indem sie das enthüllt, was verborgen wurde, fordert die Scham, uns wieder zu bedecken (re-cover) – was, nimmt man die englische Bedeutung ernst, einer Rettung oder Genesung gleichkommt und die Überwindung (re-covery) der Scham bedeutet.42 Übertragen auf nationale Scham bedeutet das für Ahmed, dass diese zu einem Mechanismus der Versöhnung werden kann, als Selbst-Versöhnung. Das begangene Verbrechen (Ahmed spricht im australischen Zusammenhang von wrong also Unrecht) wird somit zur Grundlage der Behauptung einer nationalen Identität: „Those who witness the past injustice through feeling ‚national shame‘ are aligned with each other as ‚well-meaning individuals‘; if you feel shame, you are ‚in‘ the nation, a nation that means well.”43 Die Entblößung der Scham selbst sei nur temporär, und werde, so Ahmed, zur Grundlage der nationalen Heilung (recovery).

Daraus ließe sich folgern, dass die sprachliche Verschiebung von Scham zu Schuld im oben diskutierten Zitat des Bundespräsidenten Steinmeier, die Grundlage bietet, auf der sich für die Versöhnung bedankt werden kann. Der Mechanismus, der der von Czollek beobachteten Wiedergutwerdung zugrunde liegt, wird nun erkennbar. Mit diesem Mechanismus geht nach Ahmed auch einher, dass die beschämende Geschichte als in der Vergangenheit liegend beschrieben wird und zugleich verhindert werden muss, dass die wiedergutgewordene Nation erneut beschämt wird – von anderen, die als außerhalb der Nation imaginiert werden.44 Irit Dekel und Esra Özyürek übertragen diese Beobachtung auf die deutsche Gegenwart und die Projektion der Scham auf Muslim*innen, Palästinenser*innen und die AfD, die zu Träger*innen des Antisemitismus erklärt werden.45 Ich würde aber vermuten, dass alle Äußerungen, die die Wirksamkeit des identitätsstiftenden Kampfes gegen Antisemitismus (der hierfür als klar geschieden von Rassismus imaginiert wird) in Zweifel ziehen, innerhalb dieser Logik der notwendigen Überwindung der Scham problematisch erscheinen müssen, weil sie die Versöhnung und die Wiedergutwerdung und damit deutsche Geschichte als überwunden in Frage stellen. Das bedeutet auch, dass Jüdinnen und Juden, die dieses Narrativ oder ‚Theater‘ problematisieren oder andere Antworten auf die Frage deutscher Schuld finden, in diese Projektion einbezogen werden können, was auch eine Erklärung für die Absagen von Veranstaltungen nach dem 7. Oktober 2023 sein könnte.46

Ich vermute das auch deshalb, weil ich bei meiner Recherche von Artikeln zur Parole auf zahlreiche Beiträge in der internationalen Presse gestoßen bin, in denen der Slogan als Reaktion auf die hier beschriebenen Mechanismen im Kontext von Staatsräson und Versöhnungstheater gedeutet werden. Ich will nur zwei Beispiele aufgreifen: In der spanischen Tageszeitung El País wird Christa Waegemann, Middle East Regional Director der NGO Media in Cooperation and Transition, mit den Worten zitiert, „I have many conversations with friends and colleagues about the increasing impossibility of criticizing Israel.”47 Waegemann, die sich laut El País als „half-Jewish, half-German“ definiert, bedauere, dass der Schatten der nationalsozialistischen Verbrechen die öffentliche Debatte zum Schweigen brächte.48 In der New York Times wiederum berichtete Erika Solomon unter dem Titel "Germany's Stifling of Pro-Palestinian Voices Pits Historical Guilt Against Free Speech" von den Versammlungsverboten nach dem 7. Oktober als Einschränkungen der Meinungsfreiheit; auch wenn der Slogan in dem Bericht nicht direkt genannt wird, scheint mir dieser Artikel für die Diskussion relevant, denn am Ende verweist Solomon auf den Offenen Brief von über 100 „in Deutschland beheimateten“ jüdischen Intellektuellen vom 22. Oktober 2023, „Die Freiheit der Andersdenkenden“, mit dem diese sich für Meinungsfreiheit und Frieden aussprechen.49 Die Verbote von Demonstrationen werden darin als Gefährdung jüdischen Lebens kritisiert:

„Wir prangern an, dass die gefühlte Bedrohung durch solche Versammlungen die tatsächliche Bedrohung des jüdischen Lebens in Deutschland grob ins Gegenteil verkehrt, wo nach Angaben der Bundespolizei die ‚überwiegende Mehrheit‘ der antisemitischen Straftaten – etwa 84 Prozent – von deutschen extremen Rechten begangen wird. Die Versammlungsverbote sollen ein Versuch sein, die deutsche Geschichte aufzuarbeiten, doch vielmehr besteht die Gefahr, dass man sie genau dadurch wiederholt.“

Interessanterweise zeigt sich eine kleine, aber meiner Ansicht nach entscheidende Bedeutungsverschiebung, wenn man die deutsche mit der englischen Fassung des Briefs vergleicht. Statt von „Aufarbeitung“, dem Begriff, den Theodor W. Adorno in seinem berühmten 1959 veröffentlichten Aufsatz „Was heißt: Aufarbeitung der Vergangenheit“ den damaligen Versuchen der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ gegenüberstellt,50 ist in der englischen Version von Wiedergutmachen oder Abbitte leisten die Rede: “If this is an attempt to atone for German history, its effect is to risk repeating it.”51

Ich denke, dass auch hier deutlich wird, dass eine deutsche Erinnerungskultur, die sich der Realität der Postmigrantischen Gesellschaft verschließt, Antisemitismus und Rassismus voneinander trennt und die Deutungshoheit darüber haben will, was als antisemitisch gilt, in die Nähe der Problematik rückt, die ich bereits eingangs in Bezug zu white guilt aufgeworfen habe, nämlich ein performatives Steckenbleiben, statt den Gefahren der Gegenwart – dem völkischen Angriff auf die plurale Gesellschaft – mit der nötigen Entschlossenheit entgegenzutreten und damit zugleich die Leben derjenigen, die gefährdet sind, umfassend zu schützen. Der Slogan gerät vor diesem Hintergrund als bewusst provozierender Versuch in den Blick, auf die hier zusammengetragenen aktuellen Grenzziehungen der deutschen Erinnerungskultur und ihre Effekte hinzuweisen. Ob er deshalb richtiger wird, kann jede selbst entscheiden.

German Guilt = White Guilt?

Eine Engführung von deutscher mit weißer Schuld findet sich auch in aktuellen Veröffentlichungen im Kontext der Jüdischen Studien, genauer taucht er in der Diskussion der Bemühungen des wiedervereinigten deutschen Staates um „reforestation“ deutsch-jüdischer Communities auf. Diese jüdischen Neuzugänge hatten, wie Hannah Tzuberi gezeigt hat, eine ideologische Funktion und wurden in dieser zu Zeug*innen nationaler (deutscher) Heilung bzw. Wiederherstellung (recovery): Nicht nur durch die Aufnahme von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, sondern auch durch die Konversion von Deutschen zum Judentum, mit denen jüdische Räume kreiert wurden, und die Schaffung dezidiert liberaler theologischer Institutionen sollte, so Tzuberi, das Bild „of a substantially German and acculturated community before the war“ rekonstruiert werden:52

„In a state eager to prove its new self – modern, liberal, democratic – the physical presence of Jews mattered, for a ‚flourishing of Jewish life in Germany‘ would be the strongest proof that Germany had overcome its past; it would heal a wounded national body suffering without its exterminated (Jewish) limb.”

Johannes Becke hat wiederum mit einem Aufsatz auf Tzuberis These reagiert, in dem er vorschlägt, die Perspektive über Deutschland hinaus komparativ zu erweitern. Sein Hauptargument ist, dass die deutsche Schuld, die er als Antrieb für diesen Prozess der reforestation beschreibt, am besten als weiße Schuld – die er wiederum mit Bezug auf Shelby Steeles ebenso einschlägiges wie umstrittenes Buch als eine Art säkulare Buße begreift – untersucht werden sollte.53 Dies zeigt er am Beispiel von nicht-jüdischen Deutschen, die zum Judentum konvertieren. Die Konversion deutet Becke als Zeichen der Schuld, da hier eine Identifizierung mit dem Opfer der eigenen Verbrechen am Werk sei, bei der es um eine Erfahrung der Buße oder der Abbitte (atonement) gehe, und damit um Vergebung.54 Es geht dabei also weniger – wie eingangs anhand der Performances von weißer Schuld im Kontext von Black Lives Matter bemerkt – um eine zeitlich unbegrenzte Übernahme von Verantwortung, als um eine Selbsttransformation.

Auffällig ist, dass die hier als weiße Schuld analysierte Performance deutscher Schuld auf individueller Ebene stattfindet. Spanierman begreift hingegen, wie zu Beginn erwähnt, weiße Schuld als eine Form der kollektiven Schuld, was wiederum zu dem hier behandelten Zusammenhang deutscher Schuld zurückführt, wenn wir uns an die Kollektivschuldkampagne der Alliierten oder Karl Jaspers‘ 1946 veröffentlichte Schrift Die Schuldfrage in den Jahren in der unmittelbaren Nachkriegszeit erinnern.55

Im Unterschied zu Jaspers vertrat Hannah Arendt die Auffassung, die sie etwa in dem 1968 gehaltenen Vortrag „Kollektive Verantwortung“ dargelegt hat, dass Schuld nicht als kollektive existiert, sondern an eine verübte Handlung gebunden und damit strikt persönlich sei.56 Das bedeutet, dass es kein Schuldigsein oder -fühlen gibt für Dinge, an denen man nicht beteiligt war. Arendt verweist hier einerseits auf Bekundungen kollektiver Schuld im Nachkriegsdeutschland, die sie als Versuche der Entlastung derjenigen, die tatsächlich schuldig waren, deutet. Vor dem Hintergrund der Bürgerrechtsbewegung in den USA bemerkt sie andererseits, dass es nun „gute weiße Liberale“ gäbe, die ihre Schuldgefühle im Bezug zum anti-Schwarzen Rassismus „bekennen“ würden (dies erinnert an Ahmeds Kritik an der Deklaration, die nicht performativ ist).57 Dass dieser Punkt für Arendt zentral ist, zeigt sich am Ende des Textes, wenn sie festhält, dass „keine moralischen, individuellen und persönlichen Verhaltensmaßstäbe es jemals möglich machen, uns von der kollektiven Verantwortung zu entlasten“.58 Es sei nicht möglich sich der Verantwortung für Dinge, die wir nicht getan haben, zu entziehen, sondern wir müssen die Konsequenzen von Dingen, an denen wir vollständig unschuldig sind, auf uns nehmen. Dies gelte allein deshalb, weil wir – salopp gesagt – nicht allein auf der Welt, sondern in soziale Gefüge eingebunden sind. Dies ist sei der Preis dafür, dass Handeln – für Arendt die zentrale politische Fähigkeit – nur gemeinsam gehe.59

Impliziertheit

Michael Rothbergs zweites Buch, The Implicated Subject. Beyond Victim and Perpetrator,60 macht es sich zum Anliegen, Arendts Auffassung von der „stellvertretenden Verantwortung für Dinge, die wir nicht getan haben,“61 genauer zu bestimmen, und mit der Kategorie des implizierten Subjekts einen Begriff vorzuschlagen, der in der Lage ist, zu zeigen, in welcher Weise wir in Ereignisse impliziert (folded-into) sind, die auf den ersten Blick jenseits unserer Handlungsmacht als individuelle Subjekte zu sein scheinen. Implizierte Subjekte „contribute to, inhabit, inherit, or benefit from regimes of domination but do not originate or control such regimes.”62 Sie seien beteiligt an diesen Geschichten und gesellschaftlichen Formationen, die Täter*innen und Opfer hervorbringen, aber nicht deckungsgleich mit ihnen. Ebenso wenig handele es sich um passive, unbeteiligte Zuschauer*innen. Indem Rothberg versucht, eine Antwort auf die Frage, wie „die Dinge, die wir erleben,“ trotz unserer kollektiven Erinnerung an vergangenes Unrecht (injustice) heute „‚noch‘ möglich sind“,63 beabsichtigt er eine komplexere Beschreibung der Wirkungsweisen von Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung. Für den hier besprochenen Zusammenhang der deutschen Erinnerungskultur zwischen Scham und Schuldbekundungen, Staatsräson, Versöhnungstheater und Erinnerungskämpfen erscheint dies relevant, denn seine Antwort ist, dass solche Dinge nicht deshalb möglich sind, „because some restricted group of demonic individuals continues to perpetrate extreme evil, but because most people deny, look away from, or simply accept the benefits of evil in both its extreme and everyday forms.“64 Eine Möglichkeit, im kollektiven Gedächtnis häufig zu Leerformeln geronnenes Sprechen zu unterbrechen und stattdessen die Impliziertheit in die Vergangenheit und die Gegenwart zum Ausgangspunkt zu machen, stellt für Rothberg sein Konzept der Multidirektionalen Erinnerung65 dar, das beschreibt, wie kollektive Gedächtnisse im Dialog miteinander und mit den Bedingungen der Gegenwart hervorgebracht werden. Für ihn liegt in diesem Dialog die Möglichkeit von Solidarität, obwohl sie die unterschiedlichen, intersektional verschiedenen und historisch wandelbaren Impliziertheiten offenlegt.66 Dies würde meiner Ansicht nach auch helfen, die derzeitige Polarisierung, in der es manchmal nur noch zwei Seiten geben zu können scheint, in multidimensionale und verantwortungsvolle kritische Auseinandersetzungen zu überführen, die versuchen, einen Raum zu öffnen und für einander zu halten. Es gibt durchaus schon an einigen Stellen solche Räume; ich möchte mit meinem derzeitigen Lieblingsprojekt enden, und auf den braver space im Tiny House (s. Screenshot) verweisen, in den Shai Hoffmann und Ahmad Dakhsoun während der diesjährigen Berlinale drei Tage eingeladen haben, um gemeinsam mit Gästen über Israel und Palästina zu sprechen.67 In diesen Gesprächen geht es den beiden darum, angesichts des Unwissens und der Unsicherheiten, die Möglichkeit anzubieten, in Anerkennung der sich gesellschaftlich überlagernden post-nationalsozialistischen, post-migrantischen und post-kolonialen Dimensionen, emotional herausfordernde und teilweise schwierige Fragen anzusprechen:68

„Mein Wunsch wäre es, dass möglichst viele Menschen uns besuchen und uns mit Fragen löchern, sie ihre Meinung miteinbringen und bereit sind, sich auch auf unsere Perspektiven einzulassen. Und dieses Haus vielleicht mit mehr Wissen zu verlassen, das ihnen zu mehr Sprechfähigkeit verhilft. Am besten wäre es, wenn sie rausgehen und selbst zu Multiplikator*innen werden, diesen Gedanken des Dialogs weitertragen. Und zeigen: Wir müssen uns nicht unbedingt positionieren, sondern wir müssen miteinander sprechen und das Leid des Gegenübers akzeptieren und anerkennen. Einfach menschlich sein.“
Ein ziemlich menschenleerer Platz. In der Bildmitte steht ein Tiny House auf Rädern, durch das Fenster sind drinnen Menschen zu sehen, auf der Rückseite stehen weitere Menschen und scheinen zu warten, dass sie an der Reihe sind Dahinter sieht man eine Glas-Stahl-Struktur, darauf ist der Schriftzug Bahnhof Potsdamer Platz angebracht. Unten links im Bild ist das Logo des RBB-Berlinale Studios zu sehen.

Bildnachweis: Screenshot aus dem Bericht von Marie Röder über das Tiny House Projekt von Shai Hoffmann und Ahmad Dakhsoun im Berlinale Studio, Video: Berlinale-Studio vom 17.02.2024, RBB 24: „Man darf nicht vergessen wie schwierig es ist, über Israel und Palästina zu sprechen“ Interview mit Shai Hoffmann zum Tiny House, 16.01.2024, https://www.rbb24.de/kultur/berlinale/interview-portraet/2024/shai-hoffmann-tiny-house-israel-palaestina-konflikt-austausch.html (23.02.24).


  1. Vgl. exemplarisch Spanierman, Lisa B.: „White Guilt in the Summer of Black Lives Matter“, in: Katharina von Kellenbach, Matthias Buschmeier (Hg.): Guilt. A Force of Cultural Transformation. Oxford: Oxford University Press 2022, 41-58.
  2. Arora, Rav: „How white guilt and white atonement strips BIPOC of their agency“, MacLean’s, 10. August 2020, https://macleans.ca/opinion/how-white-guilt-and-white-atonement-strips-bipoc-of-their-agency/ (23.2.2024).
  3. Ebd.
  4. Ahmed, Sara: “Declarations of Whiteness: The Non-Performativity of Anti-Racism”, Borderlands, 3(2) 2004, Website offline.
  5. Lorde, Audre: Sister Outsider. Berkeley: Crossing Press 1984, 130.
  6. Lorde 1984, 130.
  7. Spanierman 2022, 51f.
  8. Abrufbar hier: Nutt, Harry: „Von der Documenta nach Berlin: Wie ‚deutsche Schuld‘ auf Palästinenser-Demos kam“, Berliner Zeitung, 19.10.2023, https://www.berliner-zeitung.de/open-mind/nahost-konflikt-wie-deutsche-schuld-auf-palaestinenser-demos-kam-von-der-documenta-nach-berlin-li.2150731 (24.02.2023).
  9. Begründung der Berliner Polizei zitiert nach: La Marca, Teseo: „Anders denken zulassen“, taz.de, 19.10.2023, https://taz.de/Verbot-gegen-Pro-Palaestina-Demos/!5967483/ (23.02.2024).
  10. Bundesministerium des Innern und für Heimat: „Neuer Höchststand politisch motivierter Kriminalität“, Pressemitteilung vom 9.05.2023, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/05/pmk2022.html (23.02.2024).
  11. Vgl. Assmann, Aleida: „Drei Formen von Rassismus“, Geschichte der Gegenwart, 6. Dezember 2023, https://geschichtedergegenwart.ch/drei-formen-von-antisemitismus/ (23.02.2024).
  12. Trauer und Turnschuh: „Trotz allem: Gegen die Polarisierung“, Episode 11, 28.11.2023, https://shows.acast.com/64aea120a3743200113bcbf0/episodes/11-trotz-allem-gegen-die-polarisierung (23.02.2024).
  13. Akrap, Doris: „Früher war es auch nicht besser“, taz.de, 19.11.2023, https://taz.de/Postkoloniale-Linke/!5970910/ (23.02.2024.)
  14. Amadeu Antonio Stiftung: Angriffe auf die Erinnerung, Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus Nr. 12, Berlin: Amadeu Antonio Stiftung 2023, 5.
  15. Vgl. u.a. Gutmair, Ulrich: „Der Antisemitismus der Progressiven“, taz.de, 5.11.2023, https://taz.de/Free-Palestine-from-German-Guilt/!5967918/ (23.02.2024).
  16. Rapp, Tobias, Lothar Gorris: „Ein Krieg, in dem nur eine Seite überleben wird“, Interview mit Omri Boehm, Der Spiegel, 49/2023, https://www.spiegel.de/kultur/israel-hamas-krieg-ein-krieg-in-dem-nur-eine-seite-ueberleben-wird-a-e1f7451d-7edf-48d8-b839-7a84a2abde1f (23.02.2024).
  17. Prominent hierzu Neiman, Susan: Von den Deutschen lernen. Wie Gesellschaften mit dem Bösen in ihrer Geschichte umgehen können. München: Hanser Berlin 2020. Sie hat sich - aufgrund der veränderten politischen Lage in Deutschland - im vergangenen Herbst in zwei längeren Interviews in der New York Review von einigem distanziert: Neiman, Susan: “Historical Reckoning gone Haywire”, The New York Review, 19.10.2023, https://www.nybooks.com/articles/2023/10/19/historical-reckoning-gone-haywire-germany-susan-neiman/ (23.02.2024); Neiman, Susan: „Germany on Edge“, The New York Review, 3.11.2023, https://www.nybooks.com/online/2023/11/03/germany-on-edge-israel-palestine/ (23.02.2024).
  18. Wüstenberg, Jenny: Zivilgesellschaft und Erinnerungspolitik in Deutschland seit 1945. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung 2020.
  19. Ich beziehe mich hier auf Lierke, Lydia und Massimo Perinelli (Hg.): Erinnern stören. Der Mauerfall aus jüdischer und migrantischer Perspektive. Berlin: Verbrecher Verlag 2020.
  20. „Mein Opa wurde im KZ vergast, meine Tochter in Hanau erschossen“, Sendung des SRF vom 18.02.2021, https://www.srf.ch/audio/kontext/mein-opa-wurde-im-kz-vergast-meine-tochter-in-hanau-erschossen?partId=11934166 (23.02.2024).
  21. Vgl. Doerfer, Achim: Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen. Die Rache der Juden, das Versagen der deutschen Justiz nach 1945 und das Märchen deutsch-jüdischer Versöhnung, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2021.
  22. Am Pogrom in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 lässt sich dies besonders gut nachvollziehen vgl. Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (Hg.): SchlagZeilen. Rostock: Rassismus in den Medien, 2., durchgesehene Auflage. Duisburg: DISS 1993. Dazu auch: Jäger, Siegfried: BrandSätze. Rassismus im Alltag, Duisburg: DISS 1992.
  23. Czollek, Max: Versöhnungstheater, München: Hanserverlag 2023, Kapitel: (Post-)Migrantische Erinnerungskultur: Wehrt Euch! (e-book). Giordano, Ralph: „Nach Solingen: Ausländer – Wehrt Euch!“, taz.de, 1.06.1993, https://taz.de/!1613928/ (23.02.2024).
  24. https://gedenkenmoelln1992.wordpress.com/ (23.02.2024).
  25. Entsprechend der Zahlen von 2022, vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Bevölkerung mit Migrationshintergrund, 29.04.2023, https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61646/bevoelkerung-mit-migrationshintergrund/ (23.02.2024).
  26. Neumann, Julia: „Palästinenser*innen in Deutschland. ‚Wir haben es mit Tabus zu tun‘“. Interview mit Sarah El-Bulbeisi, taz.de, 27.11.2023, https://taz.de/Palaestinenserinnen-in-Deutschland/!5972938/ (23.02.2024).
  27. Ebd.
  28. Assmann 2023.
  29. Neiman, Susan: „Es ist falsch alles nur im Licht der deutschen Schuld zu betrachten“. Interview, Berliner Zeitung, 26.11.2023, https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/interview-susan-neiman-li.2161367 (23.02.2024).
  30. Ebd.
  31. Ebd.
  32. Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel vor der Knesset am 18. März 2008 in Jerusalem, 18. März 2008, https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/newsletter-und-abos/bulletin/rede-von-bundeskanzlerin-dr-angela-merkel-796170 (23.02.2024).
  33. Michaels, Ralph: „Staatsräson. Zum Gebrauch des Begriffs nach dem 7. Oktober“, Geschichte der Gegenwart, 22.11.2023, https://geschichtedergegenwart.ch/staatsraeson-zum-gebrauch-des-begriffs-nach-dem-7-oktober/ (23.02.2024).
  34. Michaels 2023.
  35. Buschmeier, Matthias: „The Absence of Productive Guilt in Shame and Disgrace. Misconceptions in and of German Memory Culture from 1945 to 2020“, in: Katharina von Kellenbach, Matthias Buschmeier (Hg.): Guilt. A Force of Cultural Transformation. Oxford: Oxford University Press 2022, 323-349.
  36. Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier beim 5. World Holocaust Forum „Remembering the Holocaust: Fighting Antisemitism“ in Yad Vashem, https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/01/200123-Israel-Yad-Vashem.html, (23.02.204).
  37. Czollek 2023 („Einleitung: Nach knapp achtzig Jahren der Zurückhaltung“).
  38. Zu früheren Inszenierung der Versöhnung vgl. Hestermann, Jenny: Inszenierte Versöhnung: Reisediplomatie und Die Deutsch-Israelischen Beziehungen von 1957 bis 1984. Frankfurt: Campus 2016.
  39. Czollek 2023 („Einleitung: Nach knapp achtzig Jahren der Zurückhaltung“).
  40. Ebd. Czollek bezieht sich mit dem Begriff auf Geisel, Eike: Die Wiedergutwerdung der Deutschen. Essays und Polemiken, Berlin: Verlag Klaus Bittermann 2015.
  41. Ebd.
  42. Ebd., 103.
  43. Ebd., 109.
  44. Ebd., 111, 108.
  45. Dekel, Irit, Esra Öyzürek: „The logic of the fight against antisemitism in Germany in three cultural shifts“, Patterns of Prejudice, 56:2-3 (2022), 157-187, 179.
  46. Dies steht im Zusammenhang mit dem sich seit Jahren zuspitzenden Streit über Antisemitismusdefinitionen bzw. über das, was Israelkritik genannt wird und wann diese legitim und wann diese antisemitisch ist. Diese Auseinandersetzung bestimmt seit dem rechtlich nicht bindenden Bundestagsbeschluss „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ im Mai 2019 den Diskurs in Deutschland. Deutscher Bundestag: Bundestag verurteilt Boykottaufrufe gegen Israel, 17.05.2019, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw20-de-bds-642892 (23.02.2024). Spätestens seit der Debatte um die Ausladung des Philosophen Achille Mbembe von der dann wegen der Covid-Pandemie abgesagten Ruhrtriennale 2020, hat sich die Diskussion um die (Lehren aus der) Singularität der Shoah, die unter dem Stichwort Historikerstreit 2.0 geführt wird, endgültig zugespitzt. Irit Detel und Esra Özyürek erinnern daran, dass der damalige Leiter des Jüdischen Museums in Berlin, der international anerkannte Judaist Peter Schäfer bereits kurz nach dem BDS-Beschluss im Sommer 2019 zurücktreten musste, nachdem das Jüdische Museum einen taz-Artikel über eine von 240 jüdischen und israelischen Wissenschaftlerinnen unterzeichnete kritische Stellungnahme zum Beschluss getweetet hatte, ohne dies als einen Retweet auszuweisen. (Detel, Irit, Esra Özyürek: „What Do We Talk About When We Talk About Antisemitism in Germany?“, Journal of Genocide Research, 23:3 (2021), 392-399, 397). Es gibt durchaus auch Versuche der Polarisierung durch Nebeneinanderstellen zu begegnen, wie etwa Mendel, Meron, Saba-Nur Cheema, Sina Arnold: Frenemies. Antisemitismus, Rassismus, und ihre Kritiker*innen, Berlin: Verbrecher Verlag 2022. Ein früher Versuch, unterschiedliche Positionen dieser global geführten Debatte zusammenzubringen, ist der von Doron Rabinovici und Natan Sznaider 2004 erstmals herausgegebene Band, dessen zweite, erweiterte und überarbeitete Auflage 2019 erschienen ist: Heilbronn, Christian, Doron Rabinovici, Natan Sznaider (Hg.) Neuer Antisemitismus? Fortsetzung einer globalen Debatte, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2019.
  47. Sevillano, Elena G.: „In Germany, the weight of historical guilt silences protests for Gaza victims“, El País, 8.12.2023, https://english.elpais.com/international/2023-12-08/in-germany-the-weight-of-historical-guilt-silences-protests-for-gaza-victims.html# (23.02.2024).
  48. Ebd.
  49. Offener Brief jüdischer Intellektueller: „Die Freiheit der Andersdenkenden“, taz.de, 22.10.2023, https://taz.de/Offener-Brief-juedischer-Intellektueller/!5965154/ (23.02.2024).
  50. Adorno, Theodor W.: „Was heißt: Aufarbeitung der Vergangenheit“, in: Ders. Gesammelte Schriften, Bd. 10.2 (hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1977, 555-572.
  51. „Freedom for the One Who Thinks Differently. An open letter from a group of Jewish artists, writers, and scholars in Germany“, in: n+1 magazine, 23.10.2023, https://www.nplusonemag.com/online-only/online-only/freedom-for-the-one-who-thinks-differently/ (23.02.2023).
  52. Tzuberi, Hannah: „‘Reforesting‘ Jews: The German State and the Construction of ‚New German Judaism‘“, Jewish Studies Quarterly, 27/3 (2020), 199-224, 200.
  53. Becke, Johannes: „German Guilt, White Guilt: The Politics of Reforestation and the Return of the Gardening State“, Jewish Studies Quarterly, 27/3 (2020), 225-239, 227. Steele, Shelby: White Guilt: How Blacks and Whites Together Destroyed the Promise of the Civil Rights Era. New York: Harper Perennial 2006, 7.
  54. Becke 2020, 231.
  55. Jaspers, Karl: Die Schuldfrage. Von der politischen Haftung Deutschlands. München: Piper 2012.
  56. Arendt, Hannah: „Kollektive Verantwortung“, in: Heinrich Böll Stiftung Bremen (Hg.): Debatte zu Politik und Moderne, Band IV, Bremen: Heinrich Böll Stiftung 2003, 4-16, 4.
  57. Ebd.
  58. Arendt 2003, 15.
  59. Ebd.
  60. Rothberg, Michael: The Implicated Subject. Beyond Victim and Perpetrator. Stanford: Stanford University Press 2019, 1.
  61. Arendt 2003, 15.
  62. Rothberg 2019, 1.
  63. Benjamin, Walter: „Über den Begriff der Geschichte (1939/1940)“, In: Ders.: Gesammelte Schriften. Band I, 2. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1980, 691-704.
  64. Rothberg 2019, 20.
  65. Rothberg, Michael: Multidirektionale Erinnerung. Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung, Berlin: Metropol 2021.
  66. Rothberg 2019, 20.
  67. RBB 24: „Man darf nicht vergessen wie schwierig es ist, über Israel und Palästina zu sprechen“ Interview mit Shai Hoffmann zum Tiny House, 16.01.2024, https://www.rbb24.de/kultur/berlinale/interview-portraet/2024/shai-hoffmann-tiny-house-israel-palaestina-konflikt-austausch.html (23.02.24). Hier sei auch auf den gleichnamigen Podcast von Hoffmann verwiesen, der in der aktuellen Folge mit seinem Kollegen Dakhsoun spricht. Podcast Über Palästina und Israel sprechen, Episode 10 „Über extremistische Glaubenssätze, syrische Flüchtlingscamps und das Ablegen von Verschwörungstheorien“, 23.02.2024, https://www.podcast.de/episode/621385393/ueber-extremistische-glaubenssaetze-syrische-fluechtlingscamps-und-das-ablegen-von-verschwoerungstheorien (24.02.2024).
  68. Ebd.