jauchzen ächzen andersmachen

für ulrike bergermann

?

jauchzen ächzen andersmachen

„Protestperlen“ ist ein Geschenk für Ulrike Bergermann zum 60. Geburtstag.
Mit „Protest“ und „Perlen“ scheinen uns die vielfältigen Relationen treffend charakterisiert, die Ulrike mit Menschen aus unterschiedlichsten Feldern verbindet.
Gemeinsam jauchzen wir, ächzen wir und gemeinsam wollen wir Dinge andersmachen!
Um Ulrike und ihre Großartigkeit zu feiern, haben wir Freund*innen und Kolleg*innen eingeladen Perlen für diese Website beizutragen – Euch allen sei herzlich gedankt!

Initiative, Idee, Konzept und Koordination:
Andrea Seier, Christine Krischan Hanke, Henriette Gunkel, Nanna Heidenreich, Sybille Bauriedl.

Graphisches Konzept, Layout und Umsetzung:
Fritz Laszlo Weber.

28.02.2024

Mit Beiträgen von

Hinweis zur Nutzung

Protestperlen, die auf diesem Computer noch nicht besucht wurden, haben einen leuchtenden Schatten. Nach dem Besuch verschwindet der Schatten. So sind unbesuchte Protestperlen leicht visuell erkennen.
Der Speicher für besuchte Protestperlen kann über diesen Link zurückgesetzt werden. Danach leuchten wieder alle Perlen.

Kat Köppert

Feeling climacteric, oder: phänomenal menopausal

Mitten in meine Erläuterungen, wo genau im Rücken der Schmerz sitzt, der mir seit Jahren enger Vertrauter geworden ist, fragt mich die Physiotherapeutin: „Und, wie schaut es mit der Menopause aus?“  __  Die plötzliche Stille im Raum kann meine Bestürzung kaum kaschieren. Ich sehe sie das erste Mal; kann sie wissen, wie alt ich bin; und selbst wenn: Ich bin 41. Klar, Klimakterium, Prä-, Peri-, Postmenopause, alles schon gehört, aber __  Wir sprechen langsam weiter, es geht um Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und ich ahne schon, mit ihr hier gerade ein Gespräch darüber zu führen, warum mir alles in der letzten Zeit zu entgleiten scheint, ich mich von der Welt entfremde, auch dem Arbeitsumfeld, in dem ich mich seit vielen Jahren bewege. 

Nanna Heidenreich schreibt, die Menopause sei ein Gefüge, in dem sich die Dinge nicht mehr richtig anfühlen (ZfM 2024, im Erscheinen). Die Menopause und das Gefühl, Dinge nicht mehr richtig perspektivieren zu können und verschwommen zu sehen, sei aber nicht allein medizinisches Phänomen, sondern als soziales zu verstehen. Ganz gleich, ob ich schon in den Wechseljahren bin oder nicht, offensichtlich fühle ich mich – angesichts sozialer, kultureller, politischer Verschiebungen – klimakterisch.

Diesem Gefühl gemein scheint zu sein, aus dem Takt zu kommen. Als wäre ich nicht mehr Teil der Zeitrechnung, aber auch als würde es anzeigen, in was für einer komischen Zeit wir leben, um es euphemistischer auszudrücken als es ist.

Filme wie Blue Jean (UK 2022, 97 min, Georgia Oakley) sprechen zu dieser strange temporality und sind mir daher derzeit so nah. Weniger weil die titelgebende Protagonistin Jean menopausal ist, sondern ich mit dem Film auf einer Zeitreise bin, die keine ist, stößt er bei mir auf Resonanz. Die Reise in die 1980er Jahre und konkret die Zeit, zu der Margareth Thatcher eine unter Section 28 bekannte Reihe an Gesetzen verabschiedete, die die ‚Förderung von Homosexualität‘ durch lokale Behörden verbot, ist eine Konfrontation mit der Gegenwart. Der Versuch, in Texas 2023 eine Schultheateraufführung mit der Begründung abzusetzen, der Inhalt sei zu vulgär, um eigentlich die transgender und nicht-binären Schauspieler*innen zu verhindern,1 ist ein Gruß aus der Vergangenheit. In dieser hatte Thatcher die Section 28 erlassen, weil Kindern an Schulen anstelle „traditioneller moralischer Werte“ beigebracht würde, „ein unveräußerliches Recht zu haben, schwul zu sein."2 Um ein solches ‚Recht‘ zu unterdrücken, wurden Verbote erteilt und Zensurmaßnahmen entwickelt. Wie heute. So lese ich in 2023 die Schlagzeile „Buch fliegt aus US-Schulbibliotheken – weil es einen Kuss zeigt“3, um zu erfahren, dass eine junge Frau vorm Schulausschuss in Texas angibt, pornosüchtig geworden zu sein, weil sie mit 13 in einem Comic die Darstellung eines Kusses nicht vertragen hat, um weiterlesend damit konfrontiert zu werden, dass jene Frau für einen rechtsextremen Verlag arbeitet, dessen erklärtes Ziel ist, Kinder vor ‚sexuellen Obszönitäten‘ zu schützen, was mit Blick auf die Verlagswebseite4 und die visuelle Dominanz heteronormativer Familialität den Schutz vor LGBTIQ meint.

Blue Jean zeigt, inwiefern das, was sich heute falsch anfühlt, schon damals nicht richtig war. Dabei richtet der Film die Vergangenheit nicht, sondern fühlt sich in den Moment, in dem im Falschen nichts Richtiges liegt, paradoxerweise auf eine Weise ein, die Sehnsucht schürt. Dass die traurige Vergangenheit eines unter Margareth Thatcher leidenden Little Britain der Fluchtpunkt von Blue Jean ist, spricht in die Gegenwart, in der geschlechtergerechte Politik, queere Liebe, nicht-binäre Existenz neuerdings wieder und im Brusttone des Stolzes5 Einschränkungen und Repressalien erfahren. Doch scheint mir der Film mit seinen bläulich eingefärbten, verwaschenen Bildern post-industrieller Tristesse, den langen Einstellungen auf das Spiel von Rosy McEwen (umwerfend auch Kerrie Hayes in der Rolle der punkigen Butch Vivian), des in den 1980er Jahre schwelgenden Kostüm- und Sounddesigns6 auch einen Sehnsuchtsort eines queeren Gefühls zu bilden, das im Sinne Heather Loves nunmehr 23 Jahre alten Buches backward ist, und trotzdem verführerisch. Der Verlust von ‚queer‘, wie er im Film aufgrund der Selbstzensur der Protagonistin zur Darstellung kommt, die als Sportlehrerin von pubertierenden Mädchen aufgrund der Verabschiedung von Section 28 versucht im Closet zu bleiben, wird – wie Love in Feeling Backward argumentiert – nicht per se als untragbarer Zustand verworfen, sondern für die Möglichkeit lesbischen Begehrens und queerer Politik offengehalten.

Die mit angstvollen Blicken aus dem Fenster inszenierte Paranoia, in allen Nachbar*innen Spion*innen zu sehen, aber auch die scheinbare Naivität zu denken, nicht alles sei politisch7, wie auch die Weigerung, sich im Moment des erzwungenen Outings einer Schülerin öffentlich mit ihr zu solidarisieren, suggeriert ein nur wenig mutiges politisches Subjekt bzw. verweist auf die Verstrickungen in Machtverhältnisse.

Trotzdem wird im Rahmen der durch den Titel Blue Jean angedeuteten Melancholie der Figur (die sich zur Tragik auswächst, trennt sich die Freundin Vivian aus Enttäuschung angesichts der vermeintlichen Handlungsunfähigkeit Jeans) ein Raum erzeugt, der queer als etwas verständlich macht, das nicht einer singulären Anweisung politischer Subjektivität folgt. So erfahren wir zum Schluss, wie essentiell diejenigen sind, die sich im Closet den (ökonomischen) Freiraum erarbeiten, um queere, linke Politik (finanziell) zu unterstützen. Auch die Alltäglichkeit von Intimität und Lust, wie sie vor allem in einer Szene eindrücklich geschildert wird, verstehe ich als dieses queere Gefühl, das mit Angst arbeitet, ohne dadurch weniger intensiv im Sinne queeren Begehrens zu sein. Im Gegenteil: Fast scheint mir, als wäre die Szene, in der Jean den Sex mit Vivian abbrechen muss, weil sie sich im Privaten von den gesellschaftlichen Ängsten bedrängt fühlt, eine Schlüsselszene. Jean schleicht sich aus dem Bett, geht in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen und liest in Radclyffe Halls Roman The Well of Loneliness (1928). Der für seine Rückwärtsgewandtheit oft gescholtene Roman wird zum Zufluchtsort eines Begehrens, das sich der Schwere und Komplexität queerer Geschichte als Verlustgeschichte zuwendet und dabei – wie Love in Auseinandersetzung mit dem Roman in Feeling Backward behauptet – umso dringlicher ein Beitrag zur Gegenwart ist. So geht es mir mit diesem Film. Er zeigt eine Möglichkeit für queere Politik in einer Zeit ihrer Unmöglichkeit auf. Mit Blue Jean fühle ich mich nahezu phänomenal menopausal.


  1. https://www.nytimes.com/2023/11/14/us/trans-actor-oklahoma-sherman-texas.html
  2. https://www.margaretthatcher.org/document/106941
  3. https://www.spiegel.de/ausland/usa-buch-fliegt-aus-schulbibliotheken-weil-es-kuss-zeigt-angeblich-zu-pornosucht-verfuehrt-a-a0cd72f3-e0c6-4d9f-b76a-356cb903eab3
  4. https://bravebooks.us/
  5. https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Soeder-kuendigt-Gender-Verbot-an-article24580901.html
  6. https://www.youtube.com/watch?v=TD-1R2GUiTE
  7. https://vimeo.com/ondemand/bluejeanfilm