jauchzen ächzen andersmachen

für ulrike bergermann

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jauchzen ächzen andersmachen

„Protestperlen“ ist ein Geschenk für Ulrike Bergermann zum 60. Geburtstag.
Mit „Protest“ und „Perlen“ scheinen uns die vielfältigen Relationen treffend charakterisiert, die Ulrike mit Menschen aus unterschiedlichsten Feldern verbindet.
Gemeinsam jauchzen wir, ächzen wir und gemeinsam wollen wir Dinge andersmachen!
Um Ulrike und ihre Großartigkeit zu feiern, haben wir Freund*innen und Kolleg*innen eingeladen Perlen für diese Website beizutragen – Euch allen sei herzlich gedankt!

Initiative, Idee, Konzept und Koordination:
Andrea Seier, Christine Krischan Hanke, Henriette Gunkel, Nanna Heidenreich, Sybille Bauriedl.

Graphisches Konzept, Layout und Umsetzung:
Fritz Laszlo Weber.

28.02.2024

Mit Beiträgen von

Hinweis zur Nutzung

Protestperlen, die auf diesem Computer noch nicht besucht wurden, haben einen leuchtenden Schatten. Nach dem Besuch verschwindet der Schatten. So sind unbesuchte Protestperlen leicht visuell erkennen.
Der Speicher für besuchte Protestperlen kann über diesen Link zurückgesetzt werden. Danach leuchten wieder alle Perlen.

Julia Bee

Generationenfragen

Bei verschiedenen Initiativen war Ulrike immer eine der ersten, die zur Stelle waren, wenn es darum ging, eine Intervention zu gestalten oder ein Anliegen sichtbar zu machen, eine medienwissenschaftliche Perspektive in die fachliche und nichtfachliche Öffentlichkeit zu tragen. Oft ist sie buchstäblich die erste Person, die antwortet und sie wird immer antworten, selbst wenn sie, wie wir alle, nicht überall mitwirken kann und das allein ist viel wert. Ob es um Antigenderismus geht, um öffentliche Solidaritätsbekundungen für von Rassismus betroffene Kolleg:innen, eine kritische Intervention bezüglich eines problematischen Dokumentarfilms von Arte, um dekoloniale Graswurzelstadtführungen oder um Widersprüche innerhalb der Fachgesellschaft – man kann sich darauf verlassen, dass Ulrike, wenn sie von der Richtigkeit der Sache überzeugt ist, ihre berufliche und private Energie einsetzt. So habe ich in den letzten 10 Jahren von Ulrike gelernt, was es heißt, eine gesellschaftlich engagierte Medienwissenschaft zu betreiben. Die Kontexte, die Ulrike mitgestaltet hat, haben mir geholfen, die Relevanz unseres inhaltlichen Engagements auch außerhalb der Wissenschaft zu sehen und zu verstehen, dass es Kolleg:innen wie mich gibt, die die Medienwissenschaft als eine gesellschaftlich und politisch relevante Disziplin verstehen. Und das hat mir geholfen, ‚dranzubleiben‘, mich nicht frühzeitig von den Ausschlussmechanismen für FLINTA und First Generations in Academia abschrecken zu lassen. Insofern habe ich nicht nur inhaltlich, sondern auch persönlich von den Zusammenhängen profitiert, die Ulrike mitgestaltet und initiiert hat, von dem öffentlichen Auftreten in und dem Mitgestalten von medienwissenschaftlich-politischern Kontexte.

Mit Ulrike verbinde ich daher einige prägende Momente der letzten Jahre. Wäre ich Ulrike nicht in Zusammenhängen wie der AG Gender/Queer Studies und Medienwissenschaft, dem Forum Antirassismus Medienwissenschaft oder anderen politisierten medienwissenschaftlichen Zusammenhängen begegnet, wäre mein Weg anders verlaufen. Die AG Gender/Queer Studies und Medienwissenschaft und das Forum Antirassismus Medienwissenschaft sind Kontexte, die Ulrike wesentlich mitgestaltet hat und die eine ganze Generation darin unterstützt, sich auf selbstkritische Weise zu politisieren. Dies steht in einer Reihe von Interventionen, die Ulrike in den letzten Jahren innerhalb der Fachgesellschaft aus Sicht von Geschlechtergerechtigkeit und Rassismuskritik gemacht hat. Ich erinnere zum Beispiel an den Text „Unser Viertel“, der heute noch und wieder sehr aktuell ist! 1

Ulrike hat sich nie von den Zumutungen der Academia abbringen lassen, in Gremien, Redaktionen, Institutionen zu gehen und sie zu verändern. So hat sie auch Handlungsfelder und -möglichkeiten sichtbar gemacht. Und das hat auf meine Generation – zumindest auf mich – viel mehr gewirkt, als es ausgesprochen wird.

Trotz unserer unterschiedlichen Schreib- und wissenschaftlichen Stile war auf Ulrike immer Verlass und man sollte nicht unterschätzen, wie sehr allein die Idee, politisch verbunden zu sein, die Selbstausgrenzung im akademischen Bereich mildern kann. Wenn es darum ging, Allys zu finden und zu Themen in der Fachgesellschaft Stellung zu beziehen, konnte man auf Ulrike als Archiv, Ally und Aktivistin ebenso zählen wie auf sie als kritische Mitstreiterin, wenn man die eigenen weißen Flecken aus den Augen verlor.

Insofern – und ich wechsele damit die Ansprache danke ich Dir, Ulrike, für Deine Vorbildfunktion – wenngleich der Begriff Vorbild natürlich umstritten bleibt! Meine Generation und alle Generationen von FLINTA in der Wissenschaft vor mir und es werden noch viele weitere sein, brauchen dieses Bild von Professor:innen, um sich sozusagen ‚in die Zukunft entwerfen‘ zu können. Auch wenn dieses Zukunftsbild unterschiedlich ist, es Unterschiede und manchmal konfligierende Abgrenzungsbedürfnisse gibt.

Das letzte Mal, als wir zusammen auf der Straße waren, gegen die Kriminalisierung von Klimaaktivismus, hast Du eine der besten akademisch-aktivistischen Reden gehalten, die ich je gehört habe – und sie war zudem wie so oft humorvoll und dem Anlass angemessen bissig geschrieben. Du hast gesagt, ganz kurz zusammengefasst: don‘t kill the messenger, also dass die Ursachen der Klimakatastrophe bekämpft werden müssen, nicht ihre Medien – die Klimaaktivist:innen.

Ein ebenso großes Dankeschön an Dich, die Du Dich auch in unserer Fahrradgruppe, die zusammen Fahrradutopien geschrieben, hat so stark eingebracht hast.2 In diesem Kontext haben wir auch schon mal über den Grad des Aktivismus gestritten. Meine strategische Affirmation des Fahrrads und seiner Rolle in der Mobilitätswende war Dir manchmal zu einseitig, so vermute ich. Ich glaube, da war ich in Deinen Augen und bin es noch oft zu programmatisch, zu aktivistisch, zu wenig distanziert. Und das hat sich auch in einem Satz niedergeschlagen, den ich mir sehr zu Herzen genommen habe, und Du hattest recht: Wenn man älter ist, dann ist das mit dem unbegrenzten Radfahren nicht mehr so möglich, Julia! Und Du hast Recht. Ich habe mein eigenes Projekt daraufhin justiert. Ich glaube dennoch, dass Radfahren in jedem Alter möglich gemacht werden sollte...

Abb 1: Männliche und weibliche Person sitzen auf einer Bank im Grünen, Mann zeigt in die Landschaft
Abb 2: Männliche und weibliche Person vor der Radrevier-Ruhr-Infotafel, Mann zeigt auf Info-Tafel
Abb 3: Abb 3: Schwarz/Weiß-Abbildung von drei Frauen auf einem Tandem, 1938, New South Wales (Australien)
Abb 4: Schwarz/Weiß-Abbildung von 20 Frauen auf Fahrrädern, die sich in einer Reihe aufgestellt haben, 1938, New South Wales (Australien)

Trotz der – wie ich finde – sehr produktiven Auseinandersetzungen in der Fahrradgruppe, die Deine Skepsis auch gegenüber einigen Fahrradszenen zeigt, hast Du dieses Projekt sofort unterstützt. Du hast zudem immer die lustigsten Bilder und Videos rund ums Radfahren geteilt hast, z.B. Männer, die auf Dinge zeigen, ein Best of der Radtourismus-Werbung mit Fotos von Männern, die Frauen ihre Umgebung zeigen. Du hast dir immer Zeit genommen für Diskussionen und Auseinandersetzungen in der Gruppe, in unserer E-Bike-Debatte und in anderen, wo Du antidiskriminierende Interventionen gemacht hast. Das ist etwas, was ich sehr mit Deiner Arbeitsweise verbinde, dass Du unglaublich effizient und pragmatisch bist, das geht aber nie auf Kosten der Diskussion. Du nimmst dir die Zeit für inhaltliche Debatten und für den unersetzlichen Streit in solchen Zusammenhängen, die immer wieder das Verhältnis von Engagement, Kooperation mit Aktivistinnen und methodisch-wissenschaftlichen Ansprüchen austarieren. Ich habe unglaublich viel gelernt, inhaltlich, von der Haltung her, von einer Generation, die viel gekämpft hat, wovon meine Generation heute profitiert, auch wenn sich die Kämpfe verschoben haben.

Bildnachweise:

Abb 1:
© Mehle Hundertmark Fotografie 
Abb 2:
© radrevier.ruhr/Jochen Schlutius
Abb 3:
© Mitchell Library, State Library of New South Wales and Courtesy ACP Magazines Ltd.
Abb 4:
© Mitchell Library, State Library of New South Wales and Courtesy ACP Magazines Ltd.


  1. https://www.uzh.ch/film/download/tagung/FFK/Bergermann_UnserViertel_Fachpolitik_GfM%20Mitteilungen_2010.pdf
  2. Vgl. https://meson.press/books/fahrradutopien/